Die Leitbilderarbeitung darf kein Alibiprozess werden

Geringe Teilnehmerzahlen bei Präsenzveranstaltungen als auch im Internetverfahren – der Leitbildprozess für die Lausitz im Rahmen des Strukturwandels kommt nicht richtig voran. Erst heute wurde ein Workshop für die Kulturstrategie in Bautzen mangels Bürger/innen beteilgung abgesagt.

Aus Sorge um diesen Prozess und mit konkreten Verbesserungsvorschlägen haben sich Annett Jagiela und Thomas Pilz deshalb mit einem Offenen Brief an den Sprecher der Gesellschafterversammlung der Wirtschaftsregion Lausitz, Landrat Bernd Lange gewandt. Den Wortlaut des Briefes finden Sie als pdf auch hier.

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Sehr geehrter Herr Landrat Lange,

wir möchten uns mit diesem Brief an Sie als Sprecher der Gesellschafterversammlung der Wirtschaftsregion Lausitz wenden, die für den derzeitigen Leitbildprozess im Rahmen der Zukunftswerkstatt Lausitz verantwortlich zeichnet. Zum Leitbildprozess möchten wir Ihnen ein Feedback geben und konkrete Verbesserungsvorschläge machen. Durch die Form eines offenen Briefes möchten wir zu einer transparenteren politischen Diskussion beitragen – so wie sie hier von vielen Bürgerinnen und Bürgern immer wieder gewünscht wird.

Wir unterstützen den Leitbildprozess ausdrücklich. Es ist gut und richtig, dass wir gemeinsam darüber sprechen, wie wir in Zukunft hier leben wollen und dabei ein stabiles Selbstverständnis und Ziele entwickeln. Dabei sollten wir die Veränderungskompetenz und die vielen Erfahrungen der Menschen in dieser Region der letzten 30 Jahre nutzen. Für uns geht es bei einem Leitbildprozess vor allem auch darum, dass Menschen gemeinsame Werte definieren und Ideen entwickeln, wie wir unsere Region voranbringen können. 

Distanz verringern, Nähe und Vertrauen in wieder herstellen

Das Wichtigste ist jedoch, dass die Bürgerinnen und Bürger wieder mehr in politische Abläufe durch Diskussionen einbezogen werden, dass ihre Rückmeldungen ernst genommen und nachvollziehbar verarbeitet werden. Es geht darum, wieder Vertrauen in unsere politischen Prozesse herzustellen.

Nachdem wir an Bürgerdialogen in der Görlitzer Landskronbrauerei und der Energiefabrik Knappenrode teilnahmen und uns mit der Onlinebefragung beschäftigten, zweifeln wir allerdings an der Effektivität des Leibildprozesses und dessen Umsetzung. Der Leitbildprozess erreicht nicht genügend Menschen im Landkreis Görlitz und droht ein Alibi-Prozess zu werden. Wir wollen nicht in Abrede stellen, das so ein aussagekräftiges Leitbild entstehen kann. Aber das Vertrauen in die Umsetzung und damit die Tragfähigkeit dieser wichtigen Orientierung werden wir so nicht gewinnen.

In Görlitz haben ca. 25 Personen, in Knappenrode ca. 35 Personen teilgenommen. Das ist viel zu wenig! Das Angebot in Görlitz war der einzige Bürgerdialog für den Landkreis Görlitz. Die geringe Teilnehmeranzahl ist Zeichen dafür, dass für diese Veranstaltungen noch nicht das passende Format gefunden wurde und die geleistete Öffentlichkeitsarbeit nicht ausreicht. Es sollte noch weitere Bürgerdialoge im Landkreis Görlitz in kleineren regionalen Einheiten geben – beispielweise für:

  • Niesky – Kodersdorf
  • Rothenburg – Hähnichen – Uhsmannsdorf
  • Rietschen – Daubitz – Kreba – Mücka
  • Boxberg – Weißwasser – Bad Muskau
  • Löbau – Herrnhut
  • Zittau und Umgebung

Im Vorfeld sollten die BürgermeisterInnen mit ins Boot geholt werden, denen als politische Führungskräfte dieser Region eine rege Beteiligung am Herzen liegen sollte. Ebenso sollten kulturelle und soziale Schlüsselpersonen aktiv eingebunden werden und auch als ModeratorInnen mitwirken. Das Ziel muss sein, dass sich möglichst viele Menschen an einem solchem Dialog beteiligen. 

Dazu ist auch eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit notwendig. Wir sind der Meinung, dass weder die Bewerbung im Internet noch das analoge Marketing ausreichend war. Die Belebung und Aktivierung des ländlichen Raumes beginnt am Anschlagbrett und hört bei Facebook auf. Wir verstehen, dass das ein großer Aufwand ist. Auch deshalb ist es wichtig, Netzwerke in kleineren regionalen Einheiten aufzubauen, aber vor allem, existierende zu nutzen.

Wir wissen, dass die finanziellen Mittel, die den Leitbildprozess ermöglichen, an kurze Fristen gebunden sind. Deshalb ist es u.E. notwendig, gegenüber den Geldgebern jetzt zu erklären, dass dieser Prozess mehr Zeit und weitere finanzielle Ressourcen benötigt. Wir schlagen zudem vor, diesen Bedarf nicht nur für den Beginn des Strukturwandelprozesses zu beschreiben. Vielmehr sollten wir darauf drängen, temporäre Strukturen zu finanzieren, die nicht nur die Leitbilderarbeitung sondern auch deren Umsetzung, Evaluierung und mit Sicherheit notwendigen Anpassung mit starker Bürgerbeteiligung absichern helfen.

Konkreter, klarer, verständlicher

Noch ein paar Gedanken zur inhaltlichen Arbeit bei den Bürgerdialogen und der Onlinebefragung: Die Fragen, die beim Bürgerdialog gestellt wurden, sind sehr abstrakt. Es braucht Zeit, sich damit auseinanderzusetzen. Deshalb ist es sinnvoll, ModeratorInnen an den jeweiligen Tischen einzusetzen.

Zudem haben wir zum Teil die Erfahrung gemacht, dass vor allem Wunschlisten erstellt wurden. Allerdings ist es u.E. hinlänglich bekannt, was genau wir brauchen, welche Branchen gefördert und in die Lausitz geholt werden sollen – es steht sogar in den Anhängen des Strukturstärkungsgesetzes und im Flyer, der beim Bürgerdialog verteilt wurde. In den letzten zwei Jahren ist in diversen Runden über die Zukunft der Lausitz diskutiert worden. Mit diesen Ergebnissen und Erkenntnissen kann ein Bürgerdialog begonnen werden. Man muss nicht so tun, als ob die BürgerInnen hier zum ersten Mal diese Ideen erarbeiten. Dass das nämlich nicht der Fall ist, wissen die TeilnehmerInnen auch. Einige haben auf dem Weg nach Hause ihren Unmut darüber zum Ausdruck gebracht. Sie hatten den Eindruck, dass kein wirkliches Interesse an ihrem Input besteht – dass dies eine Alibiveranstaltung ist. Zudem war ihnen die Weiterverarbeitung der Ergebnisse unklar, sie sind weder auf der Website noch auf Facebook zu finden.

Dieselben Fragen werden auch für die Onlinebefragung genutzt. Das ist effizient für diejenigen, die den Prozess managen – aber unseres Erachtens nicht sinnvoll, da es sich um ein anderes Medium handelt und hier anders Feedback gegeben wird als an einem Tisch in der Landskronbrauerei. Dafür hat man/frau sich 3 Stunden eingeplant. Für eine Onlinebefragung plant sich niemand 3 Stunden Zeit ein. Zudem ist diese Art der Onlinebefragung nicht hilfreich für die älteren Menschen. Bisher gibt es für die 8 Fragen 59 Kommentare von 22 NutzerInnen. Auch das ist viel zu wenig (Stand: 10. Oktober 2019).

Mehr Dialogforen, Mehr Öffentlichkeitsarbeit und mehr Reflektion darüber, wer wir sein könnten

Sehr geehrter Herr Lange – wir möchten Sie bitten, bei diesem Prozess nachzusteuern und darauf hinzuwirken, dass mehr Menschen eingebunden werden und vor allem der Fokus der Gespräche auf das Selbstverständnis der Menschen in der Lausitz gelenkt wird. Wir schlagen vor:

  • Dass Bürgerdialoge in regionalen Räumen des Landkreis Görlitz angeboten werden.
  • Dass die Öffentlichkeitsarbeit intensiviert wird, die Menschen direkt per Flyer, per E-Mail, persönlich eingeladen werden, dass die Events auf Facebook beworben werden.
  • Dass Dialogforen angeboten werden für bestimmte Gruppen wie beispielweise Frauen, ältere Menschen, HandwerkerInnen, kleine und mittelständische UnternehmerInnen, junge Menschen, RückkehrerInnen und Hergezogene sowie kommunale PolitikerInnen. Dass dies funktionieren kann, zeigt die große Teilnahme am Experten-Workshop Kulturstrategie Lausitz 2025. Bei diesem Workshop haben über 60 Personen teilgenommen.
  • Dass Formate genutzt werden, bei denen nicht nur Wunschlisten erstellt werden, sondern über das Selbstverständnis der Lausitz diskutiert wird – beispielweise durch Fragen wie: Wer wollen wir morgen und in den nächsten Jahrzehnten sein? Was soll uns ausmachen? Wofür wollen wir stehen? Wie wollen wir wahrgenommen werden? Wie helfen uns die Erfahrungen der letzten 30 Jahre? Welche Werte sollen unser Handeln leiten?
  • Dass die Ergebnisse fortlaufend veröffentlicht und im Kreistag vorgestellt werden.
  • Dass Sie darauf drängen, temporäre Strukturen zu finanzieren, die nicht nur die Leitbilderarbeitung sondern auch deren Umsetzung, Evaluierung und mit Sicherheit notwendigen Anpassung mit starker Bürgerbeteiligung absichern helfen.

Wir verstehen, dass viele Prozesse im Rahmen des Strukturwandels parallel laufen und die Organisation, Priorisierung und Steuerung nicht immer einfach ist.

Ein tragfähiges Leitbild ist jedoch das Fundament für die nächsten Jahre und deshalb sollte dieser Prozess auf politischer Ebene engmaschig begleitet, gesteuert und gegebenenfalls angepasst werden.

Wir stehen gerne für ein persönliches Gespräch zur Verfügung.

Herzliche Grüße,

Annett Jagiela

Sprecherin Bündnis90/Die Grünen Kreisverband Görlitz

Thomas Pilz

Vorsitzender der Kreistagsfraktion Bündnisgrüne-SPD-KJIK im KT Görlitz

1 Kommentar

  1. Andrea Vater

    Sehr geehrte Frau Jagiela, super Brief,Sie sprechen alles voll auf den Punkt an!! Ich wusste auch nichts davon, sondern über die super gute Arbeit von Franziska Schubert in Facebook. Und das ist dass riesengroße Dilemma, wie Sie richtig geschrieben haben „dieser Alibiprozess“. Vielen Dank für Ihren Brief, es muss endlich ein Aufwachen geben, mit freundlichen Grüßen Andrea Vater

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