Zur Erweiterung des Jugendstilkaufhauses

Aus gegebenem Anlass haben wir uns vom Vorstand des SV Bündnis 90/ Die Grünen intensiv mit dem Thema der geplanten Erweiterung des Kaufhauses beschäftigt.

Wir haben festgestellt, dass sich die Görlitzer Bürger:innen mit ihrem Herzensanliegen der Revitalisierung des Kaufhauses in einem großen Dilemma befinden.
Unser Dilemma ist, dass für den Investor Prof. Stöcker nur das Jugendstilkaufhaus allein für den wirtschaftlichen Betrieb zu klein ist und dass die nun geplante Erweiterung  mit einer Gesamtgöße von 20.000 qm und einer Dominanz gegenüber anderen Einzelhandelsstandorten zu groß werden wird.

Laut dem Entwurf des Einzelhandelkonzeptes der Stadt Görlitz vom April 2020 gibt es in der Innenstadt rund 27.640 qm Verkaufsfläche (S.70).
Davon gehören bereits 6.890 qm zum City-Center, welches in die geplante Kaufhauserweiterung integriert werden soll. Das bedeutet, dass sich die Verkaufsfläche in der Innenstadt um 47 % erhöhen soll.
Ohne das City-Center beträgt die Einzelhandelsfläche 20.750 qm. Somit wäre das Kaufhaus Stöckers nahezu genauso groß, wie die gesamte sonst vorhandene Verkaufsfläche in der Görlitzer Innenstadt.

Die Kaufkraftprognose wird in Abhängigkeit von der prognostizierten Bevölkerungsentwicklung im Landkreis in den nächsten Jahren als rückläufig bewertet.
„Der Einzelhandel in Görlitz wird sich zukünftig in einem kaufkraftseitig angespannten Umfeld behaupten müssen“ (vgl. Einzelhandelskonzept, S.51).

Zur Einordnung der Zahlen haben wir eine interessante Dissertation zum Thema „Revitalisierung von Shopping-Centern“ von Verena Sturm gefunden.

„Prinzipiell gilt […], dass die Verkaufsfläche im Vergleich zum Innenstadteinzelhandel keine dominante Position einnehmen sollte. […] Es ist demnach im Hinblick auf die innerstädtische Einzelhandelsstruktur eine besonders sorgfältige Überprüfung der Verträglichkeit notwendig. Vor allem innerstädtische Shopping Center, die autark funktionieren, können für eine gewachsene Innenstadt zum Problem werden. Je kleiner und einzelhandelsmäßig schwächer die Stadt, desto eher erreichen auch die Wirkungen aus Umsatzverlagerungen einen nachhaltigen und unvertretbar schädlichen Umfang “  Sturm, Seite 220.

„Nach einem Jahrzehnt, in dem sich bundesweit die Verkaufsfläche in Einkaufszentren nahezu verdoppelt hat, wird in der Immobilienbranche und in den Städten über den Sinn der Errichtung weiterer neuer Shopping Center, vor allem in den Innenstädten, diskutiert. Insbesondere in Bezug auf Standorte in Klein- und Mittelstädten erscheint es zunehmend kontrovers, ob neue innerstädtische Shopping Center als Impulsgeber für die Städte gelten können, oder ob von ihnen eher negative Auswirkungen auf die vorhandenen innerstädtischen Einzelhandelsstrukturen und den Verkehr ausgehen“ Sturm, Seite 81.

Erschreckend ist, dass laut Verena Sturm moderne Shopping-Center immer kurzlebiger werden. Aufgrund der massiven Übersättigung des Marktes sind diese nur für kurze Zeit attraktiv. Sie unterliegen einem massiven Konkurrenzdruck. Sollten Shopping-Center dieser Größe aus irgendwelchen Gründen in eine Schieflage geraten, stellen sie ein sehr großes städtebauliches Problem dar (vgl. Sturm).

Unser Fazit ist, dass es im Genehmigungsverfahren zur Erweiterung eine sorgfältige Prüfung geben sollte, ob durch die Erweiterung der vorhandenen Einzelhandelstruktur tatsächlich gut tun oder ob das derzeit vorliegende Projekt der innerstädtischen Entwicklung eher schaden und Leerstand an bestehenden Orten befördern wird. Nicht zuletzt werden wir in den nächsten Jahr(zehnt)en verbunden mit den europäischen und weltweiten Klimazielen einiges an unserem bisherigen Konsumverhalten verändern müssen.
Was das für die ohnehin völlig übersättigten Märkte bedeuten wird, können wir derzeit noch gar nicht überblicken.

Vielleicht sollte das Jugendstilkaufhaus in unserer angestrebten klimaneutralen Stadt 2030 eher ein Gründerzentrum für Nachhaltigkeit in Handel und Wirtschaft werden, auch mit Blick auf die Vorbilder der älteren Handelsgeschichte der Stadt, die einst sowohl dem Handel als auch als soziale Treffpunkte dienten.
Wir würden nicht der Spirale der Kurzlebigkeit nachjagen, sondern bei der Bevölkerung dafür werben, so gut es geht die bestehenden Einzelhandelsstandorte zu unterstützen und damit sehr viele liebevoll sanierte Denkmale mit Leben zu füllen und zu erhalten.

Quellen:
Sturm, V. (2006): Erfolgsfaktoren der Revitalisierung von Shopping-Centern, Schriften zur Immobilienökonomie, European Business School, Schloss Reichartshausen (https://epub.uni-regensburg.de/6303/6/38.pdf)

Entwurf: Einzelhandeskonzept für die Stadt Görlitz vom 20. April 2020 (https://www.goerlitz.de/uploads/Goerlitz_EZK_SFL_200420.pdf)

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