Ein Bericht unseres Kreisrates Prof. Dr. Joachim Schulze
Mein Sonntagsausflug führte mich am Sonntag ins beschauliche Hirschfelde, weiter südlich von Görlitz. Warum?
Als Mitglied des Kreistages soll ich vermutlich Ende März über einen möglichen Verkauf der im Landkreis befindlichen ehemaligen Flachspinnerei befinden. Die Verwaltung des Landkreises mit Landrat Dr. Stephan Meyer wollten laut einer Beschlußvorlage BV/526/2024 Ende Februar dieses Objekt zusammen mit einem Grundstück in Größe von 12.493 Quadratmetern verkaufen für 200.000 EURO an die Freie Evangelische Gemeinde (FeG) in Görlitz, deren Pastor Herr Eugen Böhler ist.
„…. Aktuell leerstehend, bebaut mit einem dreiflügeligen Gebäude mit einem zweigeschossigen, anteilig unterkellerten Hauptgebäude und zwei eingeschossigen nordseitig vollständig unterkellerten Seitengebäuden und zwei Zufahrtswegen…..“ so lautet der Beschluß.
In der Begründung wird u.a. verwiesen auf einen grundsätzlichen Verkaufsbeschluß des technischen Ausschusses vom Februar 2019 und auf ein Verkehrswertgutachten vom März 2017 welches damals auf die Summe von 200.000 EURO kam.
Ferner wird mitgeteilt, dass „das Objekt auf der Internetseite des Landkreises Görlitz am 02. Februar 2024 bis zum 14. Februar 2024 öffentlich meistbietend mit einem Mindestgebot in Höhe von 200.000 EURO ausgeschrieben“ wurde. Es gab daraufhin nur ein Angebot.
Die Beschlussvorlage erwähnt als Anlagen: Auszug Flurkarte Hirschfelde, Auszug Liegenschaftskataster Legende.
Mehr erfährt man nicht. Zum Beispiel nicht, was der angedachte Erwerber mit der Immobilie vorhat. Gibt es ein dem Landkreis bekanntes Konzept? Inhaltlich? Wie ist die finanzielle Absicherung des Ganzen? Gibt es einen Zeitplan für vermutlich erforderliche Baumaßnahmen und eine Inbetriebnahme? Ich weiß es nicht. Weiß es der Landrat? Wissen/Wussten es die Mitglieder des Technischen Ausschusses (TA), die den Verkauf beschließen sollten?
Nun, wie die Presse bereits berichtete kam es nicht dazu. Die Mitglieder meiner Fraktion Bündnis90/Die Grünen/SPD/KKiK sowie die Vertreter der Fraktion Freie Wähler nutzten ihre Rechte gemäß Geschäftsordnung zu verlangen, dass wegen der besonderen Bedeutung der Vorlage eine Befassung durch den gesamten Kreistag erfolgen soll. Das gefiel den Vertretern der AfD und der CDU überhaupt nicht übrigens.
Die Gründe für eine Verweisung in den Kreistag sind Fragen zum Ausschreibungsverfahren, zur aktuellen Tauglichkeit eines Verkehrswertgutachtens von 2017 (!) und zum Fehlen eines vom möglichen Erwerber vorgelegten Nutzungs- und Entwicklungskonzeptes. Letzteres ist besonders befremdlich. Aus dem Stadtrat Görlitz kenne ich so etwas auch nicht.
Nun könnte man fragen „Was solls?“. Die Antwort liegt für mich einmal in grundsätzlichen prozeduralen Fragen, vor allem aber a) in der Vorgeschichte und b) in der Bedeutung eines Industriedenkmales von herausragender kulturhistorischer Qualität c) sicher auch in einem möglichen Wert für die weitere Entwicklung von Hirschfelde.
Zu a): Ab dem Sommer 2022 kam es zu heftigen Protesten gegen die Absicht des Landkreises – auf Zeit – in der Flachsspinnerei Geflüchtete unterzubringen. Vor allem die Relation von 150 Personen in Relation zu 120 Einwohnern im Ortsteil um die Spinnerei, fehlende Infrastruktur und Ängste vor möglichen Gefährdungen wurden hier angeführt. Die Proteste weiteten sich aus mit Blick auch auf weitere Standorte und den Fakt zu erweiternder zentraler Heimunterbringung von Geflüchteten und Asylbewerbern im Landkreis generell.
In Reaktion darauf wurde im Oktober 2023 auf Beschluss einer demokratischen Mehrheit im Kreistag eine umfangreiche und detailreiche Unterbringungskonzeption für Asylsuchende im Landkreis (LK) verabschiedet. Unsere Fraktion hatte im Rahmen der Kreistagssondersitzung übrigens dafür gesorgt, dass eine Beauftragung für diese Konzeption als gemeinsames Vorhaben der Demokraten im Kreistag zustande kam.
Diese regelt unter anderem eine transparente und gerechte Verteilung von Gemeinschaftsunterkünften in den Planungsräumen des LK, aber auch Kriterien für die Beurteilung einer Standorteignung. Die Flachsspinnerei wird als „ungeeignet“ für einen „dauerhaften Standort“ eingeschätzt (S.30 des Konzepts). Realistisch kann davon ausgegangen werden, dass der LK auch eine befristete Nutzung nun nicht mehr anstrebt. Interessant ist folgender Hinweis: „Für das Objekt gibt es einen Kaufinteressenten und soll anderweitig nachgenutzt werden.“
Zu b): „Gegründet wurde die Firma im Jahr 1845 als Flachsgarn-Spinnerei durch den Zittauer Kaufmann und Garnhändler Heinrich Carl Müller (1791–1876). Es war die erste Maschinen-Flachsspinnerei im Königreich Sachsen, die am Unterlauf des Kemmlitzbaches am Eingang zum Neißetal neben der bereits im 15. Jahrhundert durch den Zittauer Chronisten J. von Guben erstmals erwähnten Möle under dem Rozental (eine unmittelbar neben dem Ort Rosenthal befindliche, von der Neiße angetriebene und zu Hirschfelde gehörende Mahlmühle) entstand. Nach zweijähriger Bauzeit begann die Produktion mit zunächst 400 Beschäftigten.“ So wird es bei bei dewiki.de geschildert.
Die Web-Seite Industriekultur Sachsen kommt zu folgender Bewertung:
„Nach einem Brand wurde der Erstbau durch das heute noch teilweise erhaltene Ensemble im damals vorherrschenden Stil des Historismus ersetzt. Die Spinnerei wurde 1877–1880 errichtet, das Kontorgebäude 1880–1882. Mit seinen Pilastern, Türmchen und Zinnen gibt es gestalterische Parallelen zur Tudorgotik der englischen Schlossarchitektur. (….)
1991 übernahm der Internationale Bund das Gebäude als Bildungsstätte und sanierte es mit Unterstützung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Das Kontorhaus gilt als einer der schönsten historistischen Industriebauten Sachsens.“
Die Flachsspinnerei ist also keine beliebige Immobilie, deren Erhalt und Weiternutzung so ganz nebenbei behandelt werden kann. Da sie im öffentlichen Eigentum ist, gibt es eine öffentliche Verantwortung.
Zu c): Seit dem Spätsommer 2023 werden in Hirschfelde „demokratische Frühstücke“ angeboten, die dem Austausch von Hirschfeldern zu sie betreffenden Fragen dienen. Bei der Flachsspinnerei handelt es sich um ein bedeutsames Objekt, dessen „Nachnutzung“ vor allem auch unter dem Aspekt betrachtet werden muss, welche Potenziale für eine weitere Entwicklung von Hirschfelde ausgeschöpft werden können. Dazu ist aber ein mit ausreichenden Informationen qualifizierter Diskurs- und Beteiligungsprozeß erforderlich (Bürgerbeteiligung).
Gerade als Antwort auf die Protestbewegung und offenbar verlorengegangenes Vertrauen in Teilen der Bevölkerung ist das dringend erforderlich. Dieser Prozeß muss ergebnisoffen geführt werden – natürlich vor dem Hintergrund des grundsätzlichen Kreistagsbeschlusses von 2019. Es hat offenbar schon in der Vergangenheit verschiedene Nutzungsinteressen und Vorverhandlungen mit dem Landratsamt gegeben.
Für mich als Mitglied des Kreisstages folgt zunächst eine Verpflichtung zur intensiven Befassung mit dem Objekt, seinem Zustand und seinen Potenzialen für die weitere Entwicklung von Hirschfelde und sogar des Landkreises insgesamt.
Daher erwarte ich, dass das Gutachten von 2017 und gegebenenfalls weitere relevante Dokumente zur Verfügung gestellt werden. Weiterhin erwarte ich, dass der Landrat interessierten Mitgliedern des Kreistags eine Besichtigung auch in den Gebäuden selbst ermöglicht. Dazu müssen die Baufachleute des Landratsamtes hinzugezogen werden, damit baufachliche Fragen kompetent beantwortet werden können.
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