Heute blicken wir auf den Stadtrat vom 26.10.2023. In Görlitz haben wir folgende bündnisgrüne Stadträte und Stadträtinnen:
- Joachim Schulze, Sprecher und Mitglied der Fraktion Bürger für Görlitz (BfG) im Stadtrat Görlitz, weitere Infos und Berichte unter: https://www.buerger-fuer-goerlitz.de/
- Jana Krauß und Kristina Seifert – Mitglieder der Fraktion Motor Grüne Görlitz im Stadtrat Görlitz, weitere Infos unter: https://fraktion-motor-gruene.de/; der Fraktionssprecher ist Mike Altmann
Wir tragen hier die Berichte oder ggf. Redebeiträge deren Fraktionen zusammen:
Bericht der Fraktion Motor Görlitz / Bündnisgrüne
Subjektiver Bericht aus dem Stadtrat Görlitz vom 26.10.2023 (Fraktionswebsite, inkl. Möglichkeit zum Nachhören)
Es beginnt still und nachdenklich. Schweigeminute für die Opfer der Hamas-Verbrechen in Israel. OB Octavian Ursu versichert, dass Görlitz an der Seite der jüdischen Gemeinschaft steht. Unser Kulturforum Neue Synagoge, die Ehrenbürgerschaft für Schlomo Graber und die zahlreichen Stolpersteine in der Stadt sind nur einige Beispiele für eine lebendige Kultur der Erinnerung, des Respekts und des Austausches.
Dann steigen wir mit Infos des OB in die Sitzung ein.
Herr Ursu berichtet von einem Besuch bei der Mitteldeutschen Medienstiftung in Berlin. Beim 25. Geburtstag habe er für Görlitz geworben. Die Stadt habe in der Branche einen guten Ruf. Auch die Film-Akademie wirke positiv. So schön das klingt: Bislang hat sich noch keine dauerhafte Finanzierung dieses Bildungsangebotes gefunden. Wenn es den Bedarf gibt, müsste sich das auch in finanziellem Engagement der Branche äußern.
Persönlich eingesetzt hat sich Herr Ursu für den Erhalt der Zeemann-Filialen. Auslöser waren Presseberichte, dass sich die Handelskette komplett aus Görlitz zurückzieht. Daraufhin, so die Erzählung, gab es ein Telefonat des OB mit Zeemann. Er hat das Potenzial der Stadt aufgezeigt, über die Wirtschafsförderer der EGZ zusätzliche Informationen bereitgestellt und somit die Zeemänner und Zeefrauen überzeugt. Zumindest die Filiale an der Ecke Wilhelmsplatz/Jakobstraße bleibt erhalten. Ich muss dann wohl auch mal dort einkaufen, wenn sogar der OB darum kämpft. Nichts mehr tun kann der OB für die Filiale im Neiße-Park. Sie wird geschlossen.
Bürgermeister Benedikt M. Hummel berichtet kurz über Ergebnisse der ersten Saison am Berzdorfer See mit Parkautomaten. 90.000 Euro Einnahmen, das ist etwa doppelt so viel wie prognostiziert. Obwohl die Automaten ziemlich verspätet an den Start gingen. Das von AfD und CDU jahrelang prophezeite Chaos ist ausgeblieben. Demnächst wird es eine tiefere Analyse geben.
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Die Bürgerfragestunde wird endlich mal wieder gut genutzt.
Sarah Bräunling und Mario Härtig wünschen sich eine städtische Lösung zum Melden von Gefahrenstellen für Radfahrer. Beide berichten von zu wenig Abstand, auch Unfälle habe es gegeben. Meldungen bei der Polizei seien zu zeitaufwendig. Das mag sein, aber wenn etwas passiert ist, sollte man schon die Polizei einschalten, rät der OB. Für Hinweise auf Gefahren ist der Mängelmelder zu empfehlen. Bürgermeister Hummel ergänzt, dass dieses Thema in die Fortschreibung des Verkehrskonzeptes einfließt. Erst vor ein paar Tagen habe es eine Befahrung kritischer Stellen für Radfahrer im Stadtgebiet gegeben.
Maik Fey, möchte wissen, wann die umstrittenen Sondernutzungsgebühren für lokale Gastronomen während städtischer Feste geklärt werden. Die letzte Sitzung dazu fand im Mai statt. Vereinbart wurde damals, dass die gesamte Finanzierung des Altstadtfestes im Verwaltungsausschuss besprochen werden sollte. Am Ende ist es eine politische Entscheidung, ob ansässige Gastronomen entlastet werden bei den Festivitäten. Leider gibt es seitdem keine Bewegung. Das Thema wird trotz regelmäßiger Erinnerung nicht im Ausschuss auf die Tagesordnung gesetzt. Bürgermeister Hummel erklärt, dass er in Kürze zu einer neuen Runde mit Gastronomen und Kulturservice einladen möchte. Im Gespräch bleiben ist prima, aber man darf sich dabei nicht im Kreis drehen. Beide Seiten haben ihre Argumente ausgetauscht. Die Gesellschaft samt Aufsichtsrat hat sich aus wirtschaftlichen Gründen gegen eine Entlastung der Görlitzer Gastronomen entschieden, wenn diese beim Altstadtfest ihre Außenfläche nutzen wollen. Insofern muss die politische Ebene entscheiden. Hierfür fehlen aber die Gesamtzusammenhänge. Ich weiß nicht, was das Altstadtfest für Einnahmen und Ausgaben hatte in den letzten Jahren.
Danach tritt eine junge Frau ans Mikro und beklagt den Kiesabbau in Hagenwerder sowie das intransparente Verfahren durch das Oberbergamt. Die Genehmigung zum Abbau sei ohne Beteiligung von Betroffenen erteilt worden. Unklar sind Folgen für Umwelt, Anwohner und Tourismus. Angeblich dürfe die Firma Heim nun auch tiefer abbauen. Und zwar bis unter die Grundwasserlinie. Die junge Frau erinnert an das schwere Unglück in Nachterstedt, als die Ortschaft absank. Ein weiteres Thema ist die Staubbelastung, die bis zum Hotel Insel der Sinne reiche. Die Ranch in Hagenwerder leide, Pferde würden an Husten erkranken. Die Stadtspitze zeigt sich bei dieser Frage hilflos. Seit Beginn der Debatte vor zwei Jahren verweist sie auf fehlende Einflussmöglichkeiten, da hier Bergrecht gelte. Ich denke, es ist höchste Zeit, sich intensiver damit zu befassen und herauszufinden, wie tief und wie weit die Abbauarbeiten tatsächlich reichen sollen. Es handelt sich um eine sensible Stelle. Nah an Wohnhäusern, Gärten, Gewerbebetrieben und unserem touristischen Zentrum Berzdorfer See. Es gibt auch eine Petition, die ihr unterstützen könnt: https://www.kiesabbau-goerlitz.de
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Es folgen die Fragen von Stadträten.
Trinkwasserprobleme
Mein Fraktionskollege Andreas Kolley erkundigt sich, ob die Verschmutzung des Görlitzer Trinkwassers mittlerweile aufgeklärt ist. Seit einigen Tagen gab es Warnungen, da das Wasser teilweise übelriechend aus der Leitung kam. Der OB wiederholt die Erkenntnisse des Vortages. Die Stadtwerke haben erklärt, dass keine Gefahr bestand und besteht, selbst wenn vom Trinken des Wassers zwischenzeitlich abgeraten wurde. Die Ursachenforschung hält an. Eine Herausforderung für die Kommunikation der Stadtwerke. Die, wie ich finde, nicht optimal gelöst ist. Bei solch elementaren Dingen wie der Trinkwasserversorgung braucht es mehr als routinemäßige Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.
Saisonende für Berzdorfer See
Ich möchte wissen, wie die Stadtverwaltung zu Sondergenehmigungen außerhalb der Saison auf dem Berzdorfer See steht. Am 31. Oktober endet die Saison auf dem See. Wer trotzdem mit Boot aufs Wasser will, etwa für touristische Rundfahrten, muss das beantragen. Beteiligt an den Verfahren sind neben Görlitz auch LMBV und Landratsamt als zuständige Behörde. Der OB meint, dass die Stadt solche Sondernutzungen nicht forcieren möchte. Es wird im Einzelfall geprüft, aber das Rathaus stehe dem kritisch gegenüber. Ich denke, wenn die Naturschutzbehörde und die Wasserschutzbehörde nichts dagegen haben, sollte die Stadtverwaltung bei Einzelanträgen folgen. Dauerhafte Sonderfälle sollten von der Landesdirektion geregelt werden.
Gespräche im Klinikum
Lutz Jankus von der AfD fragt, ob es Bewegung gibt im Streit zwischen Klinikum und ausgegliedertem Medizinischen Labor. Wir erinnern uns: In der letzten Sitzung wurde OB Ursu um Unterstützung gebeten, damit das Labor wieder ins Klinikum eingegliedert wird. Es geht um Arbeitsbelastung, Schichtdienste, Bereitschaftszeiten, Personalmangel und auch schlechtere Bezahlung. OB Ursu erklärt, dass es mittlerweile ein Gesprächsangebot der Klinikchefin gibt. Mehr kann man noch nicht sagen.
Dunkler Puschmann-Weg
Motor-Stadtrat Danilo Kuscher bringt eine Frage ein, die wir von einer Görlitzerin kurz vor der Sitzung erhielten. (Das ist jederzeit möglich. Schreibt uns über die Social-Media-Kanäle oder per Mail an kontakt@fraktion-motor-gruene.de). Sie wünscht sich Beleuchtung für den Else-Puschmann-Weg. Der verbindet seit kurzem die Lüders-Straße und die Rauschwalder Straße. Eine schnelle Lösung gibt es leider nicht. Frau Poost vom Bauamt erläutert, dass die Beleuchtung erst mit dem nächsten Bauabschnitt kommt. Die erste Baustufe war vorgezogen worden, gemeinsam mit den Stadtwerken, die Medien verlegt haben.
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Der Neue aus der AfD
Wir vereidigen einen neuen Stadtrat. Nachdem Alexander Lehmann von der AfD vor die Tore der Stadt gezogen ist, muss ein Nachrücker her. Ralf Klaus Kaufmann heißt er, Ex-Diplomat. 137 Stimmen reichen ihm nun für den Einzug in den Rat. Bereits der vierte Nachrücker bei der AfD. In die Fraktion wird er aber nicht gehen. Laut SZ-Bericht ist Herrn Kaufmann die AfD zu links, weshalb er sie verlassen habe. Er nimmt neben Jens Jäschke Platz, den die AfD-Fraktion schon vor Jahren offiziell ausschloss. Ralf Klaus und Jens – die Lümmel von der letzten Bank.
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Elisabethplatz
Der Stadtrat vergibt den Auftrag für die Tiefbauarbeiten auf dem Elisabethplatz an Steinle Bau. Im November soll es endlich losgehen mit der Neugestaltung.
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Wirtschaftsplan Friedhof 2023
Wir haben Ende Oktober aber noch immer keinen genehmigten Haushalt. Die Reparatur der Einäscherungsanlage kann nicht aufgeschoben werden. Deshalb braucht es einen sogenannten Mittelvorgriff in Höhe von 150.000 Euro. Die Anlage ist verschlissener als ihr Alter eigentlich vorsieht. Ursachen sind in den Coronajahren zu finden. Deutlich mehr Tote, deutlich mehr Einäscherungen. Wir stimmen zu. Ebenso dem Wirtschaftsplan 2023.
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Betriebskonzept, Sanierungskosten und Förderanträge Stadthalle
Noch vor der Pause wird die Stadthalle als Tagesordnungspunkt aufgerufen. Wir sollen dem Betriebskonzept zustimmen, den OB beauftragen, Fördermittelanträge zu stellen und die Kostenobergrenze für die Sanierung auf rund 51 Millionen Euro erhöhen.
Bürgermeister Hummel führt ins Thema ein. Die Terminschiene wird vorgestellt. Fertigstellungstermin ist noch nicht fixiert. Es soll auf 2028/29 hinauslaufen. Nicht zu sehen oder zu hören bekommt die Öffentlichkeit die wichtigsten Zahlen aus dem Betriebskonzept. Keine Info, dass der Zuschussbedarf im ersten Jahr bei knapp einer Million Euro liegt. Keine Angabe zu den geplanten Veranstaltungen, zum Preismodell oder zu den Einnahmen. Sinnbildlich dafür ist eine illustrierende Powerpoint-Folie des Fach-Bürgermeisters. Zunächst erscheint das Wort „Risiko“. Sehr klein und kaum erwähnenswert. Man wisse nie vorher genau, was etwas schlussendlich kostet. So. Dann fliegt ein neues Wort ein. CHANCEN. Deutlich größer als die Risiken. Appelle an Zuversicht, Mut und Sekundärtugenden. Fakten, Abwägungen, Risikobewertungen und gesamtstädtische Perspektive fehlen.
Extra für euch ergänze ich deshalb den Vortrag von Benedikt Hummel und stelle einige wenige exemplarische Zahlen aus dem Betriebskonzept 2.0 vor. Macht euch selbst dazu Gedanken. Ich nehme das dritte Betriebsjahr, weil es dort aus städtischer Sicht die besten Annahmen gibt. Nicht dass mir noch jemand vorwirft, ich würde das Projekt schlechtreden mit Zahlen aus den Aufbaujahren.
- Anzahl Veranstaltungstage: 192
- Erwartete Einnahmen: 2,3 Millionen Euro
- Personal: 20 Vollzeitstellen
- Gesamtkosten: 2,9 Mio Euro
- jährlicher Zuschussbedarf: 640.000 Euro
Klingt erstmal gar nicht so schlimm? Richtig. Aber ist das realistisch? Schauen wir uns die Einnahmeerwartungen an. 192 Veranstaltungen in einem Jahr sind stattlich. Muss man erstmal hinbekommen. So der Tenor aus der Veranstalterbranche. Je mehr ich die Zahlenreihen studiert habe, umso mehr Zweifel kamen.
Beispiel 1: 900.000 Euro Mieteinnahmen
Die Mieteinnahmen beruhen auf der hohen Auslastung und den gehobenen Preisen. Für den großen Saal werden 5.400 Euro aufgerufen, ohne Ränge 3.700 Euro. Der Kleine Saal kostet 1.200 Euro. Im modernen Anbau finden sich kleinere kombinierbare Säle zu Preisen zwischen 200 und 1.800 Euro. Wer die ganze Stadthalle exklusiv nutzen möchte, zahlt 9.000 Euro. Das soll etwa durch Kongresse gelingen. Gleich vier soll es davon geben mit 600 Teilnehmern.
Beispiel 2: 1 Million Euro aus Dienstleistungen
Wie kommt es, dass der Stadthallenbetreiber mehr durch Dienstleistungen als durch Vermietung einnimmt? Weil es sich um rein kalkulatorische Annahmen handelt. Zu fast jeder Veranstaltung errechnet sich der Kulturservice Zusatzeinnahmen für Lichttechniker, Tontechniker, Präsentationstechniker und Projektmanager. Stundensatz zwischen 60 und 120 Euro. Mal sehen, wie viele regionale Nutzer sich das leisten werden. Ein Abi-Ball erwirtschaftet laut Kalkulation 800 Euro Miete, 1.860 Euro für Licht. Ton und Projektion, 800 Euro für Projektmanagement. Trotz 80% Mietrabatt müssten die Abiturienten 4.100 Euro auftreiben, da die kalkulierten Preise netto sind. Da ist noch kein Buffett, kein Begrüßungsgetränk und kein DJ bezahlt. Wie realistisch ist das?
Beispiel 3: 180.000 Euro aus Catering-Provisionen
Die Einnahmeposition geht davon aus, dass der externe Caterer über 1,2 Millionen Euro Jahresumsatz macht. Davon sollen 15 Prozent in die Kasse des Betreibers fließen. Mit wem ich aus der Branche auch sprach: Es gibt erhebliche Zweifel an der Umsatzerwartung. Kenner meinen, dass es schwer werden könnte, überhaupt einen regionalen Anbieter zu finden, der das leisten kann.
Unsere Fraktion hatte beim ersten Entwurf vor knapp zwei Jahren noch bemängelt, dass uns die Einzelpositionen fehlen, wir die Kalkulation nicht nachvollziehen können. Das war nun viel besser möglich. Leider haben die Tabellen unsere Bedenken nicht genommen. Im Gegenteil. Und wir sind damit nicht allein. Ich hatte vor und nach einer Stadtratssitzung noch nie so viele Anrufe und Nachrichten von Leuten, die sich zur Stadthalle äußerten. Die uns den Rücken stärkten. Die aus völlig verschiedenen Peergroups stammen. Das ist keine homogene Bubble aus Stadthallenskeptikern. Es sind gestandene Persönlichkeiten, Unternehmer, Kulturmanagerinnen, Gastronomen – Leute, die rechnen und Risiken einschätzen können. Genau das fehlt dem Betriebskonzept: Es geht von der besten Annahme aus und lässt die Risiken außer Acht.
Deshalb reichen wir einen Änderungsantrag ein. Statt das Betriebskonzept zu bestätigen, wollen wir es nachbessern lassen. Der Bedarf an gesellschaftlichen und nichtkommerziellen Kulturveranstaltungen soll ebenso ermittelt werden wie die aktuelle Marktlage. Das fehlt bislang. Ebenso wie eine Stärken-Schwächen-Analyse für alle Sparten. Desweiteren wollen wir vom OB eine klare Aussage zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Wie bekommen wir die Bausumme gewuppt, wie finanziert sich der Betrieb dauerhaft? Und schließlich wollen wir, dass die Rechtsaufsicht den Prozess eng begleitet.
Unseren Antrag begründe ich in der Sitzung mit einem längeren Redebeitrag:
Es ist zu beachten, dass die Stadt Görlitz nicht verpflichtet ist, die Stadthalle als Veranstaltungsstätte und Tagungszentrum wieder zu errichten und bereitzustellen. Gesamtsanierung und Betrieb erfolgen aufgrund des öffentlichen Bedürfnisses und der Leistungsfähigkeit. Darauf weist u.a. das städtische Justiziariat hin.
Zum Bedarf
Zu prüfen ist durch uns, ob für die einzelnen Sparten eine öffentliche Notwendigkeit besteht, vor allem wenn sie Defizite erwirtschaften. Dann müssen wir prüfen, ob andere Einrichtungen diese Leistungen bereits ausreichend bereitstellen. Es ist nicht Aufgabe der öffentlichen Hand, auf dem privaten Markt der Tagungen, Messen und Unterhaltungsveranstaltungen tätig zu sein. Ein Grund kann es sein, dass man durch Überschüsse in diesen Sparten Dinge ermöglicht, die der städtischen Gesellschaft derzeit fehlen. (Außer in der Sparte „Tagungen und Kongresse“ gibt es laut Betriebsplan jedoch überall Verluste.) Da geht es immer wieder um eine „Halle für alle“, in der wir eine Renaissance der Geselligkeit erleben. Fakt ist, dass deutlich mehr kommerzielle Veranstaltungen geplant sind als solche für die Stadtgesellschaft (105:87).
Aber selbst bei diesen Veranstaltungen müssen wir doch schauen, ob sie zusätzlich sind oder von anderen Häusern abgezogen werden. Da bin ich bei Jugendweihen, Abifeiern, Vereinsveranstaltungen – die finden doch jetzt auch schon statt. Wandern sie ab? Und ist das gewollt?
Es fehlt eine aktuelle Marktanalyse zum Angebot. (Was gibt es schon?) Für Veranstaltungen über 400 Personen besteht in Görlitz kein großes Angebot. Für kleinere Formate, speziell bis 200 Gäste, ist es wichtig, dass wir unsere lokalen und regionalen Mitbewerber kennen. Leider findet sich dazu keine Analyse im Betriebskonzept. Keine Aussagen zum Senckenberg-Campus mit Audimax für 200 Leute, zu Schlesischem Museum, Kinosaal, Siemens Innovation Campus, Werk1,…)
Es fehlt auch eine Analyse des Bedarfes. Das können Interviews nicht ersetzen. Nur wer die wirtschaftlichen Parameter kennt, gibt fundierte Aussagen zur eigenen potenziellen Nutzung einer sanierten Stadthalle. Als Veranstalter einer Messe wäre es unwirtschaftlich. Für eine zweitägige Messe plus Aufbautag kalkuliert der Kulturservice Einnahmen aus Miete und Dienstleistungen von rund 40.000 Euro. In Löbau kostet das Paket deutlich weniger bei doppelt so viel Fläche und mehr Nutzungstagen für Auf- und Abbau.
Diese Dienstleistungen ziehen sich durch fast alle Veranstaltungen und wirken sich auf die Einnahmeerwartungen aus. Hier finden sich extreme Unterschiede zum ersten Betriebskonzept. Vor zwei Jahren wurden knapp 500.000 Euro Einnahmen für Dienstleistungen kalkuliert. Jetzt Verdopplung auf eine Million Euro. An den Zahlen haben wir erhebliche Zweifel.
Zur Leistungsfähigkeit
Baukosten werden mittlerweile auf 51 Millionen Euro taxiert. Das sind 8 Millionen Euro mehr als vor zwei Jahren. Ohne dass der Bau begonnen hat. Für die Sanierung fehlen laut Prognose die nötigen Eigenmittel und Risikokosten ab 2025, nicht förderfähige Kosten sind gar nicht kalkuliert. Ab 2025 hat die Stadtkasse keine Rücklagen mehr. Die Stadthalle wird somit zu Lasten anderer bereits geplanter Vorhaben gehen. Was fällt weg? Stadion Biesnitz, barrierefreie Haltestellen, Jahnsporthalle, Entwicklung Schlachthofgelände, Umbau des neuen Volkshochschul-Standortes, Erschließung von Deutsch-Ossig und Verbesserung der Infrastruktur Nordoststrand, Geräte für Spielplätze, Pflege für Grünanlagen?
Wie finanzieren wir eigentlich die Betriebskosten bei einem jährlichen strukturellen Defizit von bis zu 15 Mio Euro? Natürlich können wir erstmal einen Förder-Antrag einreichen – aber irgendwann muss jemand unterschreiben, dass wir uns den Betrieb leisten können. Wir werden in Kürze ein „Haushaltsstrukturkonzept“ erarbeiten müssen. (Das ist ein euphemistischer Begriff für Rotstift ansetzen.)
Zu den Kosten kommen noch gar nicht eingepreiste Positionen hinzu: Straßenbau, Parkhausbau, Gestaltungsarbeiten rund um die Stadthalle, Stadthallengarten, zusätzliche Kosten für die Begleitung der sich deutlich verspäteten Sanierung durch Kulturservice (jährlich ca. 200.000 Euro), zusätzliche Kosten für das Jahr vor der Eröffnung (Personal muss schon teilweise am Start sein für Projektentwicklung, Marketing und Akquise – es gibt aber noch keine Einnahmen).
In Anbetracht der erheblichen wirtschaftlichen Risiken und der rechtssicheren Ausgestaltung des Stadthallenprojektes auf Fördermittelbasis sollte die Rechtsaufsicht einbezogen werden. Wir bitten um Zustimmung für unseren Antrag. (Ende des Statements im Stadtrat.)
Bürgermeister Hummel sieht die vorgebachten Punkte als grundsätzliche Kritik und erwähnt mehrfach, dass er doch alle unsere Fragen beantwortet habe. An dieser Stelle ein kleines Verständnisstück. Wir arbeiten in der Fraktion nach dem Schema FVE. Fragen. Verstehen. Entscheiden. Die Beantwortung von Fragen ersetzt nicht unser Einordnen in den Gesamtzusammenhang und die Entscheidung.
Dann darf Prof. Joachim Schulze ans Mikrofon. Das grüne Mitglied der Fraktion Bürger für Görlitz geht zunächst auf meine Forderungen nach einer konkreten Bedarfsanalyse ein. Das erinnere ihn an früher. An Diskussionen ums Werk 1. Da gab es die gleiche Masche, dass die Kritiker immer neue Analysen zum Bedarf haben wollten, so Schulze.
Ich war glühender Anhänger des WERK1. Den Bedarf haben die Jugendlichen damals selbst artikuliert. Als sie die Stadtratssitzung im Jahr 2011 enterten. Es geht heute auch um mehr Geld. Faktor zehn könnte ungefähr hinkommen.
Joachim Schulze zitiert sich jetzt selbst. Pathetische Sätze aus einer eigenen Rede von 2011, die die SZ unter der Überschrift „Ohne Stadthalle hätte Görlitz den Welterbetitel nicht verdient“ komplett abdruckte. Origineller Einstieg. Vielleicht etwas Ich-bezogen. Aber das darf ein Professor, der sein Berufsleben lang vor wissbegierigen jungen Menschen performt hat.
Ich bleibe weiter frohgestimmt und lächle. Das mag der Professor offenbar nicht. Er kündigt mir quer durch den Saal an, dass ich schon bald nicht mehr lächle. Nun bin ich erst recht gespannt.
Herr Schulze verweist darauf, dass mögliche Mitbewerber aus einem großen Umkreis bis nach Polen und Tschechien befragt wurden. Dass es keine Angst vor Konkurrenz gibt. Im Gegenteil große Vorfreude und Kooperationsbereitschaft. Als Mann der Wissenschaft weiß Professor Schulze, dass bei solchen Erhebungen die Einordnung wichtig ist. Das fehlt in seinem engagierten Vortrag leider. Ich ergänze gern: In Polen und Tschechien wurden 14 Einrichtungen kontaktiert. Fünf antworteten. Drei Einrichtungen aus Liberec und Jelenia Gora können sich eine Zusammenarbeit vorstellen. In einer zweiten Befragung wurden deutsche Einrichtungen interviewt. Hier ging es um grenzüberschreitende Erfahrungen. Bis auf die Hillersche Villa Zittau und Fürst Pückler Bad Muskau finden sich keine regionalen Akteure. Beteiligung: 5 von 12 Angefragten. Interviews, ausschließlich zu grenzüberschreitenden Aspekten, sollen eine Marktanalyse ersetzen? Damit habe ich Schwierigkeiten.
Jede Menge Fantasie zeigt Prof. Schulze, als er die Folgen an die Wand malt, wenn wir das Stadthallenprojekt stoppen. Dann könnte Görlitz zur Sanierung gezwungen werden. Der Bau würde dann 70 bis 80 Millionen Euro kosten, die wir aus der eigenen Tasche zahlen müssten. Das ist Görlitzer Science-Fiction. Niemand kann eine Kommune dazu zwingen. Außerdem ist das Gebäude gesichert.
Anschließend werden durch den erfahrenen Stadtrat Schulze Sekundäreffekte aufgeführt. Also zusätzliche Einnahmen durch Besucher der Stadthalle in Hotels, Geschäften, Kneipen. Nur: Diese „Umwegrentabilität“ ist in den letzten zehn Jahren nicht untersucht worden. In der letzten Untersuchung von Drees & Sommer aus dem Jahr 2012 wurde sie mit 2,1 Millionen Euro pro Jahr beziffert. Davon stammen 80 Prozent aus Kompensationseffekten. Auf deutsch: Die Stadthalle zieht Veranstaltungen aus anderen Locations ab. Wie groß ist dieser Effekt aus heutiger Sicht? Ohne fundierte Betrachtung lässt sich das nicht einschätzen.
Diskussionswürdig ist die Sicht von Prof. Schulze, dass wir Görlitz zum Gespött machen in Dresden und Berlin, wenn wir „kleingeistig“ an solche Projekte herangehen. Wird nicht andersrum ein Schuh draus? Ruinieren wir nicht viel mehr unseren Ruf, wenn wir ohne ausreichende Marktanalyse, ohne Risikobewertung, ohne finanzielle Sicherheit ein 60-Millionen-Euro-Förderprojekt an die Wand fahren?
Die Rede von Joachim Schulze löst große Begeisterung aus bei der Stadthallenmehrheit. Sie wird zum Benchmark. Kein Wortbeitrag von Verwaltung, AfD, CDU und BfG setzt sich anschließend mit betriebswirtschaftlichen Inhalten auseinander. Jana Lübeck von den Linken kritisiert, dass keine Antworten auf unsere berechtigten Fragen kommen. Außer: Das werden wir sehen, wenn es so weit ist. Das werden wir im Prozess klären. Das wird schon passen. Geld wird schon da sein. Wer kritisch nachfragt, ist nicht gegen die Stadthalle. Dass man sowas tatsächlich in einem Stadtrat betonen muss, ist schon bedenklich.
Die Herren Ursu und Hummel reagieren angefasst, werden emotional. Meine Kollegin Jana Krauß stellt klar, dass wir keine Emotionen brauchen, sondern Klarheit. Wie können wir das Projekt in der Praxis umsetzen? Wie finanzieren wir es mit Blick auf die gesamte Stadt? Die Liquidität ist ab 2025 nicht vorhanden.
Es folgen noch einige Argumente aus den Fraktionen von AfD, CDU und Bürger für Görlitz. Hier die schönsten Motivationssprüche für deine Kühlschranktür:
„Es mag Risiken geben. (…) Wir werden das stemmen und müssen das auch stemmen.“ Lutz Jankus, AfD
„Ich verstehe die Mutlosigkeit und Verzagtheit nicht. Die Stadthalle kann eine Erfolgsgeschichte werden, wenn wir es alle nur wollen.“ Dr. Hans-Christian Gottschalk, Bürger für Görlitz
„Wer will, findet Lösungen. Wer nicht will, findet Gründe.“ Michael Mochner, AfD
„Mut gehört dazu. Wir können zweifeln, ob wir in allen Punkten richtig liegen. Aber wir fragen auch nicht nach dem Wetterbericht in fünf Jahren.“ Dieter Gleisberg, CDU
„Das wird schon werden. Die Wahrscheinlichkeit ist bei weitem höher, dass es gut wird als die Wahrscheinlichkeit, dass es in die Hose geht.“ Torsten Koschinka, AfD-Fraktion
„Ich möchte Freude vermitteln und nicht nur immer diese Bedenkenträger haben.“ Gabi Kretschmer, CDU
Diese unbeliebten Träger sind wohl wir. Sieht auch OB Ursu so. Schlimmer noch. Er geht aus dem Sitzungsleitersattel und wirft uns Respektlosigkeit vor. Weil wir angeblich die Fachkompetenz aller Beteiligten in Frage stellen. Jana Krauß kontert: Erst durch intensive Beschäftigung mit den Konzepten entstehen Fragen und Zweifel. Das ist ein Ausdruck von Respekt vor der Leistung der Menschen, die daran gearbeitet haben.
Es kommt schließlich zur Abstimmung. Unser Änderungsantrag fällt erwartungsgemäß durch. Der Beschluss wird mit großer Mehrheit angenommen. Wie seit Jahren stimmen AfD, CDU und BfG dafür, Die Linke und Motor/Grüne sind dagegen.
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Danach ist Pause.
Hin und wieder werde ich gefragt, wie man nach einer emotionalen Debatte miteinander umgeht. Ich kann nur für mich sprechen: Direkt zum Beginn der Pause läuft mir der Stadthallenfördervereinspräsident Thomas Leder über den Weg. Handschlag, Plauderei über die guten alten Zeiten. Am Imbiss Schnack mit OB Ursu. Wir tauschen nochmal locker die Sichtweisen aus. Ich will damit sagen, dass ein vernünftiger Umgang miteinander wichtig ist, auch nach harten Auseinandersetzungen. Dazu sind vielleicht nicht alle Stadträte in der Lage. Aber die überwiegende Mehrheit.
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Bettensteuer
Direkt nach der Pause kommt das nächste dicke Brett. Wir sollen die Satzung für die Beherbergungssteuer beschließen, die im Volksmund Bettensteuer heißt. Das ist eine Steuer, die Übernachtungsgäste zahlen. Für die Stadt eingenommen wird sie von den Hotels, Pensionen, Privatunterkünften. Der Erlös fließt direkt in den Haushalt. Die Steuer ist nicht zweckgebunden für den Tourismus.
Gegen diese Bettensteuer rebellieren seit Jahren sowohl die IHK als auch der Tourismusverein. Aufgrund des Drucks, den in den letzten Tagen vor der Entscheidung vor allem durch den Tourismusverein entstand, wurde die ursprüngliche Vorlage verändert. Die Steuer soll nicht schon zum 1.1. sondern erst zum 1.4.2024 eingeführt werden. Für das erste Jahr liegt der Satz bei 3% vom Übernachtungspreis, ab 2025 sind es dann 5%. Die Abrechnung müssen die Betriebe nicht mehr in zwei Wochen erledigen, sie bekommen sechs Wochen Zeit.
Dieses Entgegenkommen ist lobenswert. Wir bringen weitere Änderungswünsche ein. Sehr am Herzen liegt uns, dass beruflich bedingte Übernachtungen von der Steuer befreit werden. Ebenso junge Leute, die wegen der Ausbildung bei uns schlafen. Was sind wir für eine Filmstadt, wenn wir beim Drehteam für jede Übernachtung zusätzlich die Hand aufhalten? Was für eine Botschaft senden wir in die Welt, wenn wir zwar um Kongressteilnehmer werben, diese aber direkt mit Aufschlägen verärgern. Die Mehrheit lehnt diesen Antrag jedoch ab. Begründung: Erhöhter Aufwand. Den sehe ich nicht wirklich, da diese Bettensteuer von den Beherbergungsbetrieben eingenommen und abgerechnet wird. Ob ich ein Formular ausfüllen lasse für Touristen und ein anderes für Geschäftsreisende ist ähnlich aufwändig.
Darum geht es am Ende nicht. Es stellt sich die grundlegende Frage, ob wir eine solche Steuer möchten. Nach einem Meinungsaustausch beantragt die AfD-Fraktion geheime Abstimmung. Überraschenderweise gibt es dafür eine Mehrheit. Unsere Fraktion enthält sich. Nach Auszählung der Stimmen kommen wir zum Ergebnis: Nur 12 Ja-Stimmen. 16 Stadträte sagen Nein. Drei enthalten sich. Damit ist die Satzung für die Beherbergungssteuer abgelehnt. Dies kann Folgen haben, da die Einnahmen aus der Steuer ab 2024 in den Haushalt eingeplant wurden.
Und doch ist das Ergebnis nicht überraschend. Die Ursachen reichen ins Jahr 2021 zurück. Nahezu parallel kamen damals Anträge von Bürger für Görlitz und unserer Fraktion. BfG will eine Bettensteuer, wir eine Gästetaxe. Vorteil Gästetaxe: Die Einnahmen müssen zwingend für touristische Dinge ausgegeben werden. Damit entsteht eine Vorteilsübersetzung bei Herbergsvätern und -müttern und deren Kunden. Man kann eine Geschichte erzählen, was aus der Steuer finanziert wird. Feste Toiletten am See zum Beispiel. Einig waren wir uns damals mit der EGZ und der Stadtverwaltung, die beiden Modelle in Ruhe zu vergleichen. Bürger für Görlitz hatten jedoch den Ehrgeiz, schnell entscheiden zu lassen. Es ging plitzplautz. Die Finanzverwaltung war erkennbar für die Bettensteuer. Nachvollziehbar. Da kann niemand reinreden, was mit dem Geld passiert. Trotz aller Warnungen und Bitten von Verbänden und Betrieben wurde abgestimmt. Mit einer Stimme Mehrheit ging der Grundsatzbeschluss für eine Bettensteuer damals durch.
Ich war der felsenfesten Auffassung, dass durch den anschließenden Unmut des Tourismusvereins ein Lernprozess einsetzt. Dass die Verwaltung rechtzeitig in die Satzungserarbeitung einsteigt und sich bei der Ausgestaltung mit den Profis aus den Beherbergungsbetrieben abstimmt. Die sollen schließlich die Steuer für uns einnehmen. Umso erstaunter war ich, als ich den Satzungsentwurf das erste Mal las. Der wurde aus bestehenden Satzungen der Großstädte Dresden, Leipzig und Chemnitz übernommen. Ohne die Tourismuswirtschaft frühzeitig einzubeziehen. Kann man machen – muss man aber mit Konsequenzen rechnen. Diese lag für mich darin, der Vorlage nicht zuzustimmen. Diesen Umgang mit Leistungsträgern in der Stadt kann ich nicht unterstützen. Das würde langfristig mehr Schaden anrichten als die nun nötigen Umfinanzierungen. Nach wie vor ist unsere Fraktion der Auffassung: Wenn schon eine Abgabe dann als Gästetaxe, deren Einnahmen ausschließlich dem Tourismus zugutekommen. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.
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Gute Nachrichten aus Hagenwerder
SKAN wächst und gedeiht und kauft ein weiteres Grundstück. Der Stadtrat stimmt natürlich zu.
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Straßenreinigungssatzung
Die geht ebenfalls klar durch. Leider werden sich die Preise erhöhen. Weil unser Dienstleister deutlich mehr Kohle haben will. BfG und unsere Fraktion mahnen an, dass die Verwaltung zügig mit der Suche nach alternativen Möglichkeiten beginnt, damit wir in spätestens zwei Jahren nicht vor demselben Problem stehen. In dem Zuge sollte das Rathaus auch überlegen, wie wir die Verwaltungsgebühren senken. Stolze 170.000 Euro schlagen zu Buche.
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Sternwarte und DZA
Die CDU-Fraktion möchte den OB beauftragen, mit dem im Aufbau befindlichen Deutschen Zentrum für Astrophysik zu reden, um zu fragen, ob sie Geld für die Sternwarte aufbringen können. Über ein gemeinsames Projekt. Wir sind Fans von Sternwarte und DZA. Lehnen aber dennoch ab. Für uns ist dieser Antrag zu flach. DZA und OB reden regelmäßig miteinander. Es braucht nicht immer einen Stadtratsbeschluss, um Dinge zu bewegen. Die Vorlage wird dennoch von der großen Mehrheit des Rates angenommen.
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Kulturraumfinanzierung
Im letzten Tagesordnungspunkt beantragt die CDU Änderungen im Entscheidungsprozess zur Kulturraumförderung. Fördert der Kulturraum Projekte oder Institutionen, so wird ein Sitzgemeindeanteil fällig. Wenn diese Summe 75.000 Euro im Jahr übersteigt, soll künftig der Verwaltungsausschuss einbezogen werden, um die finanziellen Aspekte im Gesamtkontext zu bewerten. Das betrifft bislang nur die drei institutionell geförderten Häuser Tierpark, Musikschule und WERK 1 (Second Attempt e.V.).
In der Debatte gibt es mehr Fragen als Antworten. Unklare Formulierungen, unklare Folgen. Deshalb bittet Stephan Bley von den Bürgern für Görlitz um Vertagung der Angelegenheit. Einen Monat Zeit nehmen, die Vorlage schärfen, offene Fragen klären. Das unterstützen wir. Doch die CDU zieht gemeinsam mit der AfD durch. Der Antrag auf Vertagung wird abgelehnt. Am Ende stimmen 19 Stadträte für den unausgegorenen Antrag, darunter auch Karsten Günther-Töpert und Prof. Joachim Schulze von der BfG-Fraktion. Das ist deshalb überraschend, weil die CDU in der Antragsbegründung die neu hinzugekommene Kulturraumförderung für das WERK 1 explizit benennt und die AfD-Fraktion in der Debatte ihre Zustimmung klar signalisiert. Können Nachtigallen zu leise trapsen?
Die Linke will den Beschluss von der Rechtsaufsicht prüfen lassen. Eine sehr bewegte und emotionale Sitzung, die dem OB bisweilen aus den Händen gleitet, könnte das eine oder andere Nachspiel haben. Feierabendbier auf dem Untermarkt. Görlitz ist schön.
Text von Sprecher Mike Altmann, Fraktion Motor Görlitz / Bündnisgrüne
Bericht der Fraktion Bürger für Görlitz
Aus dem Stadtrat vom 26.10.2023 | Wir veröffentlichen hier die Reden vom Stadtrat Prof. Dr. Joachim Schulze (Bündnis 90/Die Grünen) in der Fraktion Bürger für Görlitz zum Thema Stadthalle und den Fraktionsbericht zum Thema Bettensteuer:
Die BfG zur Bettensteuer
Fraktion Bürger für Görlitz im Stadtrat Görlitz, Oktober 2023
Zur Beherbergungssteuer. Und zu der Frage, wie man unsere Stadt finanziell handlungsfähig macht. Oder eben nicht.
Liebe Görlitzerin, lieber Görlitzer, lieber Beobachter, liebe Beobachterin der Kommunalpolitik in Görlitz,
im Stadtrat wurde in der letzten Sitzung über den Gegenstand „Satzung Beherbergungssteuer“ abgestimmt. Auf Betreiben der AfD-Fraktion geschah dies „geheim“, also per Stimmzettel. Warum auch immer das von ihr gewünscht wurde angesichts des Umstands, dass Stadtrat Wippel/AfD vorher die Ablehnung durch seine Fraktion angekündigt hatte. Wem sollte durch geheime Abstimmung eine Brücke gebaut werden, um gegen die Vorlage zu stimmen? Das fragen wir uns.
Im Ergebnis stimmten 12 Stadtträte für die Satzung, 16 dagegen, drei enthielten sich, ein Stimmzettel war ungültig. Man kann jetzt spekulieren, wer wie gestimmt hat. Man darf sich natürlich aus den vorangehenden Debatten ein Bild machen. Wir versichern hiermit, dass unsere Fraktion geschlossen mit JA zur Satzung gestimmt hat. OB Ursu hatte kurzfristig vor der Sitzung Gespräche mit dem Tourismusverein geführt und die Vorlage der Verwaltung geändert.
Wichtige Eckpunkte: Einführung zum 01.04.2024; Steuersatz auf die Bruttoleistung der reinen Übernachtung zunächst 3 Prozent, ab 2025 dann 5 Prozent, bestimmte Ausnahmen z.B. Minderjährige, Menschen mit Ausweis B (Behinderungsgrad 80 Prozent und mehr), etc., einige Dinge zur Durchführung.
Beispiel: Die reine Übernachtung kostet 100 Euro. Der Gast hat dann zusätzlich 3 Euro zu entrichten, ab 2025 5 Euro. Das sind die in Deutschland üblichen Sätze.
Es gibt übrigens keinerlei empirische Belege für die Behauptung, diese zusätzliche Belastung würde zu einem veränderten Nachfrageverhalten oder zum Ausweichen von Gästen führen. Gäbe es diese, so hätte der Lobbyverband DEHOGA, der die Steuer verhindern will, sie längst erhoben und vorgebracht.
Unserer Lesart nach ist mit der Ablehnung der Satzung der Grundsatzbeschluß 0281/19-24 vom April 2021 nicht aufgehoben. Darin bekannte sich der Stadtrat zur Einführung einer Übernachtungssteuer nach § 7 SächsKAG im Laufe des Jahres 2022. Und beauftragte den OB, die Erhebung konzeptionell vorzubereiten und eine Satzung zur Beschlußfassung vorzulegen. Damals mit einem knappen Ergebnis von 18 Ja und 17 Nein.
Wie kam es dazu? Bekanntlich setzt unsere Fraktion im Unterschied zu manchen anderen Akteuren und Teilen der „öffentlichen Meinung bzw. Stimmungslage“ seit langen Jahren auf eine positive wirtschaftliche und demografische Entwicklung der Stadt Görlitz. Auf ein Wachstum, das aber durch eine kluge und beherzte Stadtentwicklungspolitik und Zukunftsinvestitionen zu ermöglichen ist. Die Entwicklung gab und gibt uns Recht. Letztes Beispiel ist die Ansiedlung des Deutschen Zentrums für Astrophysik in Görlitz.
Investitionen erfordern letztlich nicht nur die richtigen Ideen und Konzepte, sondern eine Finanzierung. Ohne Moos ist bekanntlich nichts los.
Nun sind wir in Görlitz verwöhnt, was Fördermillionen von Land und Bund angeht. Ob ÖPNV mit neuen Straßenbahnen, Stadthallensanierung, Synagoge, Schulen, Kindergärten usw. Das kommt nicht einfach so, sondern weil man in Dresden, Brüssel oder Berlin an unserer Stadt glaubt und weil man unsere Bemühungen, unseren Einsatz, unsere gute Arbeit seit den schwierigen 90ern anerkennt. Das Großartige, das örtliche Wirtschaft, Privatleute aber auch Stadtrat und Verwaltung über Jahre hinweg geleistet haben. Und was zunehmend Menschen von außerhalb fasziniert und anzieht.
Kommunen im Norden des Landkreises klagen zurecht darüber, dass sie erforderliche Eigenanteile nicht aufbringen können, die sie für Förderungen brauchen. Das ist nämlich der Knackpunkt. Wie finanzieren wir aus eigenen Mitteln die erforderlichen Eigenanteile? Kredite? Erhöhung der Einnahmen, z.B. über Steuern, Gebühren, Abgaben? Was ist vernünftig, was ist leistbar?
Unsere Fraktion hat deshalb vor mehr als zwei Jahren nach vorhergehender intensiver Befassung die Einführung einer „Übernachtungssteuer“ (im Volksmund auch Bettensteuer genannt) nach § 7 SächsKAG vorgeschlagen und politisch vorangetrieben. Wir kennen die die anstehenden Aufgaben im Bildungsbereich, Tourismus, Verkehrs- und Energiewende, Klimaanpassung (z.B. Schlachthofcampus, Besucherzentrum am Obermarkt, Stadthalle, Verkehrsführung usw.) und wollen der Stadt die finanzielle Beinfreiheit für Eigenanteile und Betriebszuschüsse sichern.
Unser Vorstoß blieb nicht ohne Widerstand. Dagegen wurde u.a. eine „Gästetax“ ins Feld geführt. Die Verwendung der Einnahmen sollte zweckgebunden für „touristische Zwecke“ erfolgen. Über die Verwendung sollten Vertreter der Tourismuswirtschaft mitbestimmen.
Wir haben dem widersprochen aus mehreren Gründen: Zum einen wenden wir auch ohne die neuen Instrumente sehr viel Geld aus dem allgemeinen Steueraufkommen und weiteren Einnahmen auf für Investitionen, die der Tourismuswirtschaft förderlich sind. Auch für die EGZ etwa und deren Tourismusbüro in der Brüderstraße. Und das ist ja auch richtig so. Zum anderen zahlen die Steuer die Gäste, nicht die Betriebe. Die auch keine Entschädigung dafür bekommen, dass sie sonstige Steuern abführen. Sollen wir den Hundesteuerzahlern das Recht einräumen, bei der Verwendung dieser Einnahmen mitzureden? Den Grundbesitzern bei den Grundsteuereinnahmen? Den Gewerbesteuerzahlern?
Wir kämen letztlich zu einer Art Klassengesellschaft, die nach Steuerkraft Privilegien vergibt. So etwas gab es früher. Als Stadtrat sind wir zudem allein legitimiert, die Finanzhoheit auszuüben. Dass man sich Rat einholen kann und sollte – falls zweckmäßig – ist übrigens klar. Die Verwaltung hat noch zuletzt in der Stadtratssitzung deutlich herausgearbeitet, dass unser Konzept gemäß § 7 SächsKAG besonders rechtssicher ist und sich offenbar breit durchsetzt bundesweit. Im Vortrag der Verwaltung zur Vorlage wurde das offengelegt auch nach „Größenklassen“ von Städten und Gemeinden.
Man sollte auch bedenken, dass der Steuersatz für Übernachtungen bei 7 Prozent bleibt. Die Erhöhung der Umsatzsteuer ab 2024 auf 19 Prozent bezieht sich lediglich auf den Verzehr von Speisen und Getränken vor Ort. Es lohnt sich offenbar, selbst zu recherchieren, um Kritik aus dem Tourismusverein „richtig“ bewerten zu können.
„Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe ist eine gute Nachricht für die Kommunen. Das Gericht hat entschieden, dass die so genannte Bettensteuer in Städten grundsätzlich rechtmäßig ist. Es erlaubt außerdem auch wieder, berufliche Übernachtungen mit einer Bettensteuer zu belegen und nicht nur touristische. Die Steuer ist sinnvoll, denn damit bezahlen die Städte oft wichtige Tourismusprojekte oder Infrastruktur vor Ort.“ Das betonte übrigens Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages im Mai 2022.
Wir werden dabei vom Grundsatz her bleiben, wenn es – und darauf bestehen wir – möglichst rasch zu einer neuen Satzungsvorlage kommt. Noch ein uns wichtiger Gedanke, verbunden mit der Anregung an die politisch interessierten Görlitzer, eigene Schlußfolgerungen zu ziehen:
Die Stadthalle als Kultur- und Kongreßzentrum ist nach Eröffnung unbestreitbar auch von höchster touristischer Relevanz. Die Teilnehmer mehrtägiger Veranstaltungen werden übernachten, auch Menschen, die von weiterher kommen und abends ein Konzert besuchen. Das bringt viel Geld in die Kassen der Hotel- und Gastrobranche und über die Steuern auch in den städtischen Haushalt.
Der erforderliche städtische Zuschuss für den Stadthallenbetrieb dürfte sich nach Betriebskonzept aus dem „Defizit“ ableiten: Im ersten Jahr rund 986 Tausend Euro, dann abschmelzend auf 880 Tausend und im Vollbetrieb rund 639 Tausend. Dabei ist wichtig zu bedenken, dass der Zuschußbedarf zu großen Teilen aus dem Bereich „lokale gesellschaftliche Ereignisse“ resultiert und zwar zwischen rund 30 und 50 Prozent. Wenn man so will, ist das der „ideelle“ Geschäfts-Bereich, der Bereich, der Ausdruck einer lebendigen Stadtgesellschaft ist. Der Bereich, der nach Behauptung der Stadthallengegner durch ihren Betrieb angeblich geschädigt wird. Dieser notwendige Zuschuß ist nämlich ein Hauptargument der Stadthallengegner mit der vorgebrachten Klage, das Geld würde im Bereich freiwilliger Leistungen anderen Vereinen/Einrichtungen weggenommen und deren Existenz gefährden.
Man kann der Beschlußvorlage (Seite 4) entnehmen, dass die Verwaltung im März /April 2021 jährliche Einnahmen von 525 Tausend Euro prognostizierte. Zwischenzeitlich wurde gesagt, dass das deutlich nach oben korrigiert werden müsse wegen der höchst erfreulichen Entwicklung der Übernachtungszahlen.
Was bedeutet das? Der Stadthallenzuschuß kann zu großen Teilen und perspektivisch vollumfänglich aus der Übernachtungssteuer finanziert werden. Das ist rechtlich aber auch „sittlich“ völlig legitim, weil der Betrieb der Halle von höchster tourismuswirtschaftlicher Relevanz ist. Im Bereich der freiwilligen Leistungen wird keiner Einrichtung, keinem Verein etwas „weggenommen“, was ja von Gegnern der Stadthalle als Schreckgespenst konstruiert wird. An dieser für andere „unschädlichen“ Deckungsmöglichkeit des Zuschusses für die Stadthalle würde sich übrigens auch nichts durch eine von bestimmten politischen Kräften gewünschte Gästetax mit Zweckbindung ändern. Im Gegenteil. Der Legitimationsdruck darauf, diese Mittel so zu verwenden, würde noch größer.
Können Sie sich vorstellen, dass wir als Fraktion genau auch daran gedacht haben, als wir die Übernachtungssteuer forderten? Ja? Dann liegen Sie richtig.
Befragen Sie dennoch bezogen auf diese Fakten diejenigen politischen Kräfte im Stadtrat, die gegen die Übernachtungssteuer gestimmt haben. Und stellen bitte Verknüpfungen zwischen „verschiedenen“ Themen her, die es aber im Zusammenhang zu betrachten lohnt.
Text der Fraktion Bürger für Görlitz
Kommentierender Bericht und Rede zur Stadthalle von Stadtrat Joachim Schulze
Anmerkungen eines alten Mannes mit überschaubarer Restlaufzeit Nr.1
Heute: Von der Rabryka zur Stadthalle und zu etwas ganz Anderem. Ein Déjà-vu, Bedarfe und Bedürfnisse und die Frage, wie „schmutzig“ es werden kann in der lokalen Politikkultur.
Von Prof. Dr. Joachim Schulze, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Stadtrat, 3. November 2023
Erster Teil : Ein Déjà-vu-Erlebnis
In der vergangenen Stadtratssitzung in Görlitz hatte ich eine Art Déjà-vu-Erlebnis. Vielleicht wird sich mancher noch an den „Flashmob im Rathaus vom 26.01.2012“ erinnern (Video hier: https://www.rabryka.eu/de/2012.html )
Ein interessantes Dokument der jüngeren Stadtgeschichte. Der offenbar völlig überforderte OB Paulick stieß auf junge Leute aus Görlitz, die mit zugeklebten Mündern und Zetteln mit der Aufschrift „NOCH SIND WIR DA!“ deutlich machten, dass ihre Interessen in der Stadtpolitik viel zu wenig berücksichtigt wurden.
Ab Minute 05:40 des Videos ist meine damalige Intervention zu sehen und zu hören übrigens. Mir war damals klar, und ich habe das nach der Sitzung einigen gesagt, dass mit diesem Tag das politische Ende des Herrn Paulick als OB eingeläutet wurde. Das alles schlug hohe Wellen und hatte Folgen.
Auf der Seite der jungen Leute, die über Second Attempt, A-Team, das Fokus-Festival etc. dann über Jahre trotz Gegenwind und vieler technischer Probleme am Ball blieben. Und in Teilen der Kommunalpolitik.
2012 trat warf Siegfried Deinege seinen Hut in den Ring für die anstehende OB-Wahl. Er wurde von Beginn an durch sein breites Bündnis aus CDU, Bürgern für Görlitz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP unterstützt. Im Unterstützerteam, dem auch ich angehörte, wurde auch beraten, welche inhaltlichen Schwerpunkte im Wahlkampf und später in seiner Politik gesetzt werden sollten:
Neben der „Wirtschaft“ u.a. Jugend(kultur-) politik, Familienpolitik und Bürgerbeteiligung. Als ehemaliger Manager von Bombardier kannte er das Werk Eins Gelände natürlich sehr gut und brachte es als Standort für ein großes Jugend(kultur)zentrum ins Gespräch. Was daraus sonst „wurde“, wissen wir alle:
Das Familienbüro und das Görlitzer Konzept der Bürgerbeteiligung. Mit letzterer wird sich eine besondere „Anmerkung“ noch befassen demnächst.
Es gab im Verlauf auf der kommunalpolitischen Ebene gegen das Projekt Jugend(kultur)zentrum im Werk Eins zum Teil heftigen Widerstand. Zusammen mit Michael Hannich (früherer CDU-Stadtrat) konnte ich übrigens erreichen, dass der Stadtrat von der Ursprungsidee Jugendzentrum abwich hin zur einem Soziokulturellen Zentrum für alle Altersgruppen. Das hatte vor allem Stadt(teil) entwicklungsgründe.
Ein Artikel von Sebastian Beutler, Sächsische Zeitung, vom Dezember 2017 fasst die Konfliktlinien und Argumentationslinien sehr gut zusammen. Ich möchte ihn daher ausgiebig zitieren:
„Diesen Moment (der Abstimmung, J. Sch.)wollten dann ganz viele direkt im Großen Saal des Rathauses miterleben. Entlang der Wände, in den Gängen, im kleinsten Zwischenraum harrten Donnerstagnachmittag junge Leute von der Rabryka-Initiative während der Stadtratssitzung aus, ehe Oberbürgermeister Siegfried Deinege kurz vor halb sieben das Ergebnis verkündete: 21 Stadträte von CDU, Bürgerfraktion, Linkspartei stimmten für den Bau des Jugend- und soziokulturellen Zentrums im Werk 1, die Fraktionen von SPD/FDP, Zur Sache und NPD sowie der CDU-Stadtrat Thomas Leder dagegen. Drei Stadträte, Harald Twupack (Bürger für Görlitz), Cornelia Effenberger und Gabriele Kretschmer (beide CDU), enthielten sich der Stimme. Kaum hatte Deinege die Zahlen verlesen, brandete Beifall aus dem Publikum auf, in den die Stadträte, OB und Bürgermeister Michael Wieler einfielen. (…)
Für Joachim Schulze (Bündnisgrüne) ist der Beschluss ein „klares Signal an junge Menschen und Familien.“ Seine Partei stehe loyal zu den „jungen Menschen und Bürgerinitiativen, die das Werk 1 ins Rollen gebracht haben“. Bereits heute könne Second Attempt auf eine eindrucksvolle Bilanz seines Wirkens verweisen. Er warnte davor, verschiedene Einrichtungen wie das Kühlhaus oder die Ca-Tee-Drale gegen das Werk 1 auszuspielen. „Sie sehen sich nicht als Konkurrenten“, ist sich Schulze sicher. Auch sei es überflüssig, das Jugend- und soziokulturelle Zentrum mit der Stadthalle oder der Synagoge als große Veranstaltungszentren zu vergleichen. „Das sind verschiedene Baustellen“, erklärte Schulze.
Aber auch die Gegner des Zentrums legten ihre Sichtweise dar. Thomas Leder (CDU) nannte den Bau des Zentrums eine „Geldverschwendung, die nicht tragbar ist“. Die bestehenden Jugendeinrichtungen seien nicht ausgelastet, es gebe unverändert keine belastbare Bedarfsermittlung. „Es soll etwas gebaut werden, das am Bedarf vorbeigeht“, sagte Leder. Er warnte vor einer Ungleichbehandlung verschiedener Jugendinitiativen, indem alles Geld der Stadt an einen einzigen Verein fließe. Leder bezeichnete das Zentrum als Wahlkampfidee von Deinege und forderte den OB auf, den Wahlkampf zu beenden und den Beschluss zu kassieren.
Der frühere Görlitzer Oberbürgermeister Joachim Paulick (Zur Sache) schloss sich dieser Kritik an. Er kritisierte ebenso die fehlende, weil nicht gewollte Bedarfsermittlung. Dann sei einem Großteil der Stadträte der Betreibervertrag mit Second Attempt nicht bekannt, weil er als Geheimsache von der Rathausspitze eingestuft werde. Er fürchtet steigende Baukosten, so dass es am Ende nicht bei den derzeit vorgesehenen 3,58 Millionen Euro bleibe. Schon in den zurückliegenden Jahren sei das Zentrum immer kleiner, dafür die Baukosten immer höher geworden.
Paulick hält es auch für fahrlässig, im Haushalt eine dauerhafte Ausgabe von 140 000 Euro für den Verein zum Betreiben des Zentrums festzulegen: keiner der Stadträte wisse, ob man sich das ab 2020 angesichts von Siemens- und Bombardier-Krise überhaupt leisten könne.“ (Sebastian Beutler, Sächsische Zeitung, 01.12.2017).
Soweit ein Blick zurück. Manches wird Ihnen vertraut vorkommen, wenn Sie an die Debatten zur Stadthalle denken………..
Zweiter Teil: Nichts Neues unter der Sonne? Die Stadthalle und die Frage nach Bedarfen und Bedürfnissen
In der Oktober-Stadtratssitzung ging es im Punkt STR/0598/19-24 um den Gegenstand „Gesamtsanierung Stadthalle Görlitz – Betriebskonzept und Fördermittelbeantragung“. Nach langer Beratung in diversen Ausschüssen und untersetzt durch umfangreiches Material: Diverse Bauzeichnungen, Betriebskonzept Version 2.0, Erläuterungsband zum Betriebskonzept (nichtöffentlich) und nur in elektronischer Form und für Stadträte zugänglich Tabellen einer „Vollkostenberechnung“ für die ersten drei Betriebsjahre. Eine erste Fassung des Betriebskonzepts lag dem Stadtrat seit Dezember 2021 vor. Und zu baulichen (Detail-) Fragen wurden schon vor längerer Zeit durch Ratsbeschluss die wesentlichen Dinge geklärt. Diese Beschlüsse waren der aktuellen Vorlage beigefügt.
Nun sollte folgendes beschlossen werden:
- Bestätigung des Betriebskonzeptes 2.0
- Legitimierung der Verwaltung, bei den Fördermittelgebern Bund und Freistaat Sachsen Fördermittelanträge im Volumen von 50,76 Millionen EURO (brutto) einzureichen nebst Planungsunterlagen Stand Juli 2023 und Betriebskonzept plus Haushaltseinordnung in den Entwurf 2023/2024
- Anpassung der Kostenobergrenze für die Honorarermittlung auf 50,76 Millionen EURO
Als Tischvorlage, also Austeilung unmittelbar vor Beginn und ohne Vorberatung in Ausschüssen, gab es einen Änderungsantrag der Fraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne. Der zielte ab darauf, den Beschlussantrag der Verwaltung komplett zu ersetzen. Lediglich Kenntnisnahme des Betriebskonzepts plus diverse Aufträge an die Verwaltung zur kurzfristigen Erledigung „bis November 2023“.
Unklar bleibt für mich, ob/welche Vorstellungen es gab seitens der Einreicher, wie dann der weitere Ablauf sein sollte angesichts der bekannten Tatsache, dass die Fördermittelanträge noch in diesem Jahr 2023 (!) eingereicht werden müssen.
Was wurde verlangt? „Ermittlung des konkreten Bedarfes in den defizitären Sparten B.1 Musik- und Kulturveranstaltungen (nonprofit) sowie B.2 lokale gesellschaftliche Ereignisse; Auflistung von lokalen und regionalen Veranstaltungsorten in den SpartenB.1 und B.2 und Vergleich von wichtigen Parametern wie Lage, Größe, Preisgestaltung mit der künftigen Stadthalle; Stärken-Schwächen-Analyse für alle Sparten; ausführliche Beschreibung des Bausteins Nachhaltigkeit“
Anmerkung dazu: Man beachte die Unklarheiten etwa was wird denn als „regional“ betrachtet? Für welchen Zeitraum soll denn der „konkrete Bedarf“ eigentlich ermittelt werden? Für November 2023? Für die nächsten 20 Jahre bzw. für die Bindungsfrist, die einer Förderung folgt? Vor allem aber die Fristsetzung. Bis November, also in maximal 4 Wochen (!) sollen diese Fragen gestellt, beantwortet und bewertet werden. Jeder, der schon einmal auf wissenschaftlichem Niveau Angebots- und Bedarfsanalysen z.B. im Bereich von Sozial- oder Kulturentwicklungsplanung gemacht hat, weiß, dass das so seriös nicht leistbar ist. Man fordert mit der Fristsetzung etwas methodisch in der Frist Unmögliches, weil man etwas unmöglich machen will. Die Fragestellungen sind zudem unpräzise.
Erinnern Sie sich an die zu Beginn zitierten Passagen aus dem Artikel von Sebastian Beutler über die Rabryka/Werke Eins-Debatte? Es ist das gleiche Muster und vermutlich die vergleichbare Absicht einer Verhinderung durch Verzögerung.
Ich gehörte von Beginn an mit unserer Fraktion Bürger für Görlitz/Grüne zu den entschiedenen Befürwortern des Zentrums Werk Eins, so wie etwa auch die Linke. Wir haben die geforderten „Bedarfsuntersuchungen“ abgelehnt mit dem Hinweis, dass es der politische Wille der Stadtratsmehrheit ist, dieses Zentrum zu errichten. Aus jugend- und kulturpolitischen Gründen, aus Gründen der Stadt(teil-)entwicklung. Das ist Legitimation genug.
Es mag für Planungslaien verwunderlich erscheinen, aber es ist so: Ein Bedarf – etwa auch in der Jugendhilfeplanung – wird „festgestellt“. Das ist letztlich das Ergebnis einer (politischen) Entscheidung, die natürlich nicht willkürlich geschieht, sondern auf der Basis von Erkenntnissen, die zum Teil eben auch mit (sozial-) wissenschaftlichen Methoden gesammelt werden oder auf der Basis von bereits formulierten Entwicklungsvorstellungen. Ein Beispiel ist die von der Kulturservicegesellschaft durchgeführte Befragung von „Anbietern“ der Kulturwirtschaft in Sachsen, Brandenburg, Polen und Tschechien zur Stadthalle.
Die Ergebnisse sind den Stadträten bekannt, auch wenn sie aus Gründen von Geschäftsgeheimnissen nur im nichtöffentlichen „Ergänzungsband“ zum Betriebskonzept dokumentiert werden. Dort findet man auch Angaben zum Thema „Nachhaltigkeit“. Zum letzteren, vor allem zur Grundlage in der entsprechenden DIN ISO Norm, wurde von der Verwaltung übrigens auch im Rat berichtet.
Es gab dann noch weitere Forderungen ebenfalls „bis November 2023“, die sich auf die Finanzierung bestimmter Kosten ab 2024 beziehen sowie „künftige Finanzierung des prognostizierten Zuschussbedarfes in der Gesamtbetrachtung der freiwilligen Aufgaben der Stadt Görlitz“ und die für Forderung, die Förderanträge vor Einreichung mit der „Rechtsaufsicht“ (vermutlich ist der Landkreis gemeint) und den Fördermittelgebern abzustimmen.
Was sich die einreichende Fraktion vom letzteren verspricht, ist fraglich. Denn dass es kontinuierlich Vorabstimmungen mit der Landes- und der Bundesebene, mit dem Denkmalschutz, wohl auch mit dem Finanzamt gab, wurde doch einige Male mitgeteilt. Hofft man, der Landkreis würde der Stadt in die Parade fahren? Falls ja, was sagt das über die Haltung von Motorgrün zu unserem Selbstbestimmungsrecht als Görlitzer aus?
Zur Finanzierung eines erforderlichen städtischen Betriebskostenzuschusses haben wir uns in einem Beitrag zur Beherbergungssteuer geäußert. Das sei hier nochmal dokumentiert.
„Die Stadthalle als Kultur- und Kongreßzentrum ist nach Eröffnung unbestreitbar auch von höchster touristischer Relevanz. Die Teilnehmer mehrtägiger Veranstaltungen werden übernachten, auch Menschen, die von weiterher kommen und abends ein Konzert besuchen. Das bringt viel Geld in die Kassen der Hotel- und Gastrobranche und über die Steuern auch in den städtischen Haushalt.
Der erforderliche städtische Zuschuss für den Stadthallenbetrieb dürfte sich nach Betriebskonzept aus dem „Defizit“ ableiten: im ersten Jahr rund 986 Tausend Euro, dann abschmelzend auf 880 Tausend und im Vollbetrieb rund 639 Tausend. Dabei ist wichtig zu bedenken, dass der Zuschußbedarf zu großen Teilen aus dem Bereich „lokale gesellschaftliche Ereignisse“ resultiert und zwar zwischen rund 30 und 50 Prozent. Wenn man so will, ist das der „ideelle“ Geschäfts-Bereich, der Bereich, der Ausdruck einer lebendigen Stadtgesellschaft ist. Der Bereich, der nach Behauptung der Stadthallengegner durch ihren Betrieb angeblich geschädigt wird.
Dieser notwendige Zuschuß ist nämlich ein Hauptargument der Stadthallengegner mit der vorgebrachten Klage, das Geld würde im Bereich freiwilliger Leistungen anderen Vereinen/Einrichtungen weggenommen und deren Existenz gefährden.
Man kann der Beschlußvorlage (Seite 4) entnehmen, dass die Verwaltung im März /April 2021 jährliche Einnahmen von 525 Tausend Euro prognostizierte. Zwischenzeitlich wurde gesagt, dass das deutlich nach oben korrigiert werden müsse wegen der höchst erfreulichen Entwicklung der Übernachtungszahlen.
Was bedeutet das? Der Stadthallenzuschuß kann zu großen Teilen und perspektivisch vollumfänglich aus der Übernachtungssteuer finanziert werden. Das ist rechtlich aber auch „sittlich“ völlig legitim, weil der Betrieb der Halle von höchster tourismuswirtschaftlicher Relevanz ist. Im Bereich der freiwilligen Leistungen wird keiner Einrichtung, keinem Verein etwas „weggenommen“, was ja von Gegnern der Stadthalle als Schreckgespenst konstruiert wird.
An dieser für andere „unschädlichen“ Deckungsmöglichkeit des Zuschusses für die Stadthalle würde sich übrigens auch nichts durch eine von bestimmten politischen Kräften gewünschte Gästetax mit Zweckbindung ändern. Im Gegenteil. Der Legitimationsdruck darauf, diese Mittel so zu verwenden, würde noch größer.“
Redebeitrag aus der Stadtratssitzung, Prof. Dr. Joachim Schulze, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Fraktion Bürger für Görlitz
Redebeitrag zur Stadthalle im Stadtrat vom 26.10.2023 zum Tagesordnungspunkt 6.3. Gesamtsanierung der Stadthalle Görlitz – Betriebskonzept und Fördermittelbeantragung STR/0598/19-24 von Prof. Dr. Joachim Schulze, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Fraktion Bürger für Görlitz
Herr Oberbürgermeister, Herr Bürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren,
„Wir sagen (…) Ja zu einem Solitär des Jugendstils, der seinesgleichen kaum findet, und zu seiner respektvollen Anpassung an die heutigen Bedürfnisse der in Görlitz und unserer weiteren Heimat lebenden Menschen. Wir sagen damit in aller Bescheidenheit auch, dass wir an die besondere Bedeutung und Leistungsfähigkeit unserer Stadt glauben, an ihre Strahlkraft als kulturelles Leuchtfeuer in den Weiten zwischen den großen Städten Berlin, Dresden, Prag, Wroclaw und Liberec.
Wir haben die aktuellen Studien diskutiert und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Chancen, die mit der Stadthalle und ihrem Betrieb verbunden sind, die angeführten Risiken mehr als aufwiegen.“
Das ist ein Zitat. Die Sächsische Zeitung vom 10.09.2011, also von vor 12 Jahren, druckte unter der Überschrift „Ohne Stadthalle hätten wir den Titel Welterbe nicht verdient“ weitgehend ungekürzt eine Rede ab, die ich kurz vorher in der Stadtratssitzung gehalten habe. Zwischenzeitlich gab es noch einige weitere Reden von mir dazu.
Warum erwähne ich das?
Es gibt kein weiteres Vorhaben mit dem sich der Stadtrat, inzwischen auch drei Oberbürgermeister in Folge und viele weitere Akteure in Görlitz und anderswo über so lange Zeit und so intensiv befasst haben. Kein Projekt, in das mehr Vorleistungen der Planung und Befassung und auch Investitionsmittel im Vorfeld geflossen sind. Auch vorbereitende Beschlüsse des Rates, die immer mit überzeugenden Mehrheiten erfolgten. Es ist also eine völlige Verkennung, ja Verdrehung der Tatsachen, wenn unterstellt wird, hier geschehe etwas aus einer Laune heraus, aus dem Bauch, aus Nostalgie.
Ich selbst habe in dieser Ratsperiode allein mehrere Tage damit verbracht, die Auswahl des Planungsteams und der Fachplaner über Wettbewerbe vorzubereiten. Wir haben gute Wahlen getroffen. Das kann man an der Qualität der Bauunterlagen sehen, die soweit fertiggestellt sind, dass sie mit einem Förderantrag auf die Reise nach Berlin und Dresden gehen können. Wer sich wirklich für die Stadthalle interessiert, kann die „Musterachse“ im Großen Saal betrachten. Man bekommt hier eine Vorstellung davon, welche bauliche Schönheit sich dort wiederentfalten wird.
Auch die von uns mit bestimmten Leistungen beauftragte Kulturservicegesellschaft hat „geliefert“. Das Betriebskonzept in der Fassung 2.0 mit Stand Juli, nebst Ergänzungsband und Vollkostenberechnung für die ersten drei Jahre nach Eröffnung. Eine erste Fassung des Betriebskonzeptes kennen wir Stadträte seit nahezu zwei Jahren.
Ich finde bei keinem unserer Vorhaben seit 2009 etwas Vergleichbares. Was die Transparenz und die Darstellung betriebswirtschaftlicher und betriebsorganisatorischer Fragen angeht. Und dafür gilt den Bearbeitern Dank und Anerkennung. Wie Sie als Stadträtinnen alle wissen, geht das zum Beispiel bis zu der Frage, wieviel Personal man für welche Veranstaltungsart braucht und welche Mietpreise man zahlen muss, und so weiter und so fort. Natürlich sind das Annahmen. Was auch sonst? Aber sie sind begründet durch breite Expertise. Zeitreisen können wir leider noch nicht möglich machen. Vielleicht später mit Hilfe des DZA.
Wir haben Einschätzungen und Bewertungen diverser wichtiger gesellschaftlicher Akteure und Partner aus der Kulturwirtschaft, aus Forschung und Wissenschaft, die sich alle für die Stadthalle aussprechen. Mögliche Mitbewerber in einem weiten Umkreis wurden befragt. Klares Echo: großes Interesse, ja Freude, bis hin zur Kooperationsbereitschaft. Nun kann man sich – und das geschieht über Facebook auch heute kurz vor der Sitzung – hinstellen und im Effekt behaupten, das alles sei nicht durchdacht, ein Wolkenschloss, hinterlasse nur verbrannte Erde rings um die Stadthalle. Und ein bisschen „Volkszorn“ in seiner Fanbase anfachen. Alle haben keine Ahnung, beziehungsweise sie sind ohne Verantwortungsbewußtsein:
Kulturservice, Berater, Stadtverwaltung, die Fördermittelgeber, kürzlich die Bundestagsabgeordneten der FDP und der Bündnisgrünen, die im Kultur- und Haushaltsausschuss Millionen Euro für das Modul Nachhaltigkeit organisierten. Die große Mehrheit des Stadtrates und so weiter und so fort. Man kann – wie tatsächlich etwas zurückliegend geschehen – sinngemäß sagen, die Stadthalle sei ein Projekt alter Männer, die kurz vor ihrem (politischen) Ableben sich da noch ihr Ego etwas „vergolden“ wollten. Kann man alles machen.
Folgendes aber kann man mit uns nicht machen:
- Das überregional und kultur- und sozialgeschichtlich bedeutsame Denkmal Stadthalle ohne aufgezeigte, geschweige denn belastbare Alternativen verfallen lassen, indem eine Sanierung auf den St. Nimmerleinstag verschoben wird.
- Unserer Stadt damit einen Schaden von 70, 80, oder mehr Millionen Euro zufügen. Durch eine irgendwann zwangsläufige Eigenfinanzierung über Kredite nebst Zinsen und entgangene Steuereinnahmen aus Betrieb und Umwegrentabilitäten
- Dienstleister, Gastronomie, Hotellerie etc. um die Einnahmen und Sekundäreffekte durch eine lebendige Stadthalle bringen
- Die Stadtgesellschaft um den dringend gebrauchten gemeinsamen Ort, die Halle für Alle, bringen.
- Und uns zum Gespött machen bei Bund, Land und EU bei künftigen Förderanträgen, weil wir die Provinzler sind, die es kleingeistig und mutlos versemmelt haben. Was sich auch anderweitig als Imageschaden auswirken würde.
Aber wie gesagt. Da machen wir nicht mit. Das lassen wir nicht zu. Und denken uns unseren Teil über gewisse politische Akteure.
Soweit mein Redebeitrag.
Dritter Teil mit der Frage: Wie „schmutzig“ soll es denn werden? Und einem Erlebnisbericht…
In der Sächsischen Zeitung war kürzlich auf der ersten Seite ein Beitrag zu lesen, der sich mit Populismus in der Politik befasste. Eine Aussage war, dass Populismus zur Politik gehöre wie das Foulspiel zum Fußball. Leider wurde nicht geklärt, wer „Foulspiel“ in der Politik ahnden kann und vor allem „wie“.
Eine Eigenschaft von Populisten ist, dass sie versuchen, politische Gegner oder Konkurrenten persönlich zu diskreditieren: mit Unterstellungen, Verdrehungen, Lügen, „unschuldigen“ Fragen, Aufgreifen persönlicher Merkmale usw. Das kennen wir alle, vor allem aus Twitter, Facebook und Co. Und man hat den Eindruck, dass dies immer weiter auf die Spitze getrieben wird.
Die Kommunalpolitik ist davon nicht frei und das ist auch in Görlitz abhängig von bestimmten Akteuren, wie ich selbst schon erlebt habe seit 2009. Eine erste Welle sehe ich verbunden mit der Wählervereinigung „Zur Sache e.V.“ die damals auch den Einzug in den Stadttrat schaffte. Die Anführer waren der damalige Oberbürgermeister Joachim Paulick und ein Herr Dr. Peter Gleißner. Paulick besaß sogar die Unverfrorenheit, sich als Stadtrat zu bewerben, um Stimmen für seine Liste zu sammeln obgleich doch klar war, dass man nicht beides sein kann, also OB UND Stadtrat. Eine solche Kandidatur ist „legal“, aus meiner Sicht aber auch „schmutzig“. Ähnliches hat 2019 der damalige AfD-OB-Kandidat Wippel gemacht, der 17.000 Stimmen für seine Liste damit einheimste.
Wichtiges Organ der Herren Paulick und Dr. Gleißner waren so genannte „Mitteilungen“, die man downloaden konnte und in denen versucht wurde, politische Konkurrenten oder „Feinde“ zu delegitimieren. Im Nachhinein kann man den „Zur Sache e.V.“ als eine Art frühes Wetterleuchten am rechten Horizont unserer Stadt betrachten.
Dr. Gleißner behauptete sinngemäß, meine Dissertation sei „nicht auffindbar“, mein Titel also Schwindel. Ferner – und Falschbehauptung – ich hätte für meine Arbeit am Bürgerbeteiligungskonzept der Stadt (viel) Geld bekommen. Paulick behauptete öffentlich im Stadtrat – ebenfalls gelogen – ich hätte zu einer Hausbesetzung aufgerufen. Ferner, ich hätte einem Unternehmen durch Unterstellungen existenzbedrohenden wirtschaftlichen Schaden zugefügt. Da war nichts „dran“ juristisch, aber ich erhielt als Folge Drohbriefe.
Persönliche Angriffe und Bedrohungen nahmen nach der ersten Flüchtlingswelle, mit dem Auftreten der AfD und im Vorfeld der letzten Stadtratswahlen zu. Ein heutiger Stadtrat aus der AfD-Fraktion behauptete bei Facebook öffentlich, ich wäre nach Sitzungen eines Elternrates eines Görlitzer Gymnasiums angetrunken Auto gefahren. Und das sogar öfter. Trotz meines Hinweises dass er mich wohl verwechsle, (meine Jungs waren zu der Zeit noch in der Grundschule) blieb er dabei. Er kam gut davon und musste lediglich eine kleine Summe Bußgeld an einen Sportverein zahlen.
Auch in dieser Ratsperiode gab und gibt es Versuche der persönlichen Diskreditierung. Von neuen Akteuren und nicht so plump wie die Beispiele aus früheren Zeiten. Ganz frisch ist der Versuch, mich in Nähe von Postplatz-Rechsextremisten bzw. deren Zujublern zu rücken.
Der Hintergrund ist ein aktueller Artikel aus der TAZ, der Kritik am Lausitzfestival transportiert. Das anspruchsvolle und finanziell gut ausgestattete Festival wird übrigens von zwei Gesellschaftern getragen: der Stadt Cottbus und unserer stadteigenen Kulturservicegesellschaft.
Ich schrieb: Die Debatte hatten wir schon mal als das Festival eingeführt wurde. Der Artikel bedient bestimmte Interessen und hat Untertanen, die ich bei der TAZ bislang nicht vermutet hätte. Es ist ein Festival IN der Lausitz, nicht VON der Lausitz. Die beleidigte Unterstellung/Attitüde „uns“ (Eingeborenen ?) solle von draußen (Hamburg! Weite Welt!) Kultur mit Niveau aufgepropft werden und das dürfe man sich nicht bieten lassen, spricht für sich. Es ist insofern auch ein Festival FÜR die Lausitz wegen der dadurch fließenden Gelder, weil wir bekannt werden und weil auch Menschen von hier sich an den Veranstaltungen erfreuen. Relevant ist aus meiner Sicht die Frage nach dem Erfolg. Gab es „genügend“ Besucher? Wie wird die Qualität des Gebotenen bewertet? Wie die Organisation? Natürlich sollten auch Kunst/Kultur und auch Künstler/Künstlerinnen aus der Lausitz Platz im Programm dieses Festivals finden. Wenn die Qualität denn stimmt und/oder Sonstiges dafür spricht.
Darauf Stadtrat X. : Joachim Schulze, Journalist*innen als „Untertanen“ von „bestimmten Interessen“ zu bezeichnen, damit bekämen Sie montags viel Applaus.
Frau Y.: X , Prof. Schulze schrieb doch sofort darunter, dass er „Untertöne“ meinte. (Anmerkung, die Autokorrektur hatte aus „Untertöne“ „Untertanen“ gemacht, was ich gleich weiter unten korrigierte, weil Korrekturen im Text nicht möglich waren)
Wiederum ich : X, für manche bin ich ein Linksextremist, für manche ein verkappter Nazi oder Autoritärer, für Dritte ein gescheiterter Wessi, der hier Unterschlupf gesucht hat. Ganz schön divers also. Und Sie reihen sich mit Ihrem Post und anderen dieser Art offenbar in die Örtliche Schmähkultur ein, Herr X.
Herr X: Joachim Schulze, Ich bitte um Pardon – turnen Sie gerade eine Opferrolle hier vor?
Ich: X, nein.
Ein Einschub: Der „Unterton“ des TAZ-Artikels, von dem ich sprach, ist vor allem folgender:
„Im Schlepptau hatte Kretzschmer den 1973 in Jerusalem geborenen Kühnel, im Hauptberuf Intendant der Symphoniker Hamburg.“
Was die Nennung des Geburtsortes des Festival-Intendanten zur Debatte beitragen soll, weiß ich nicht. Da ich den Autor des TAZ-Artikels nicht kenne, oder was er sonst schreibt, weiß ich auch nicht, ob das eine Art Dog Whistling ist, mit dem möglicherweise BDS-Sympathisanten in der Kulturszene getriggert werden sollen. Ich finde es jedenfalls befremdlich.
Wie „schmutzig“ kann es noch werden in den nächsten Monaten und Wochen vor der Kommunalwahl? Ich fürchte, es wird noch so Manches auf uns zukommen.
Text und Rede von Prof. Dr. Joachim Schulze
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