Schubert: Sächsische Verfassung gibt zwar Möglichkeiten, Schuldenbremse in so einer Situation auszusetzen – nach der Krise müssen wir jedoch finanziell handlungsfähig sein
Dresden. „Der Sächsische Landtag wird über Anpassungen der Schuldenbremse nachdenken müssen“, erklärt Franziska Schubert, Vorsitzende der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag, angesichts der Herausforderungen durch die Corona-Krise für den sächsischen Landeshaushalt.
„Die Corona-Pandemie wirkt sich deutlich und dramatisch auf die Wirtschaft aus. Wir werden als schwarz-grün-rote Koalition zur Verfügung stellen, was das Gesundheitssystem, die Kommunen und die Wirtschaft brauchen und zwar in dem Rahmen, wie es notwendig wird“, ist sich die Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen sicher. „Es geht um schnelle, unbürokratische Hilfe. Wir wollen Wort halten und Vertrauen nicht enttäuschen. Alles, was nötig ist, werden wir in dieser Situation auch tun. Sachsen kann die notwendigen Hilfen finanziell stemmen und mit dem sächsischen Hilfsprogramm gehen wir einen ersten Schritt. Unsere Sächsische Verfassung sieht für Zeiten wie diese Möglichkeiten vor, Kredite aufzunehmen, um in der Krise dem Land helfen zu können.“
„In der Landesverfassung sind zwei Ausnahmen für die Schuldenbremse festgelegt: konjunktureller Einbruch oder Katastrophenfälle. Die Steuerschätzung vom Monat Mai wird uns zeigen, ob wir Kredite aufnehmen müssen und damit die Schuldenbremse außer Kraft tritt. Ich nehme auch in anderen Fraktionen die Bereitschaft wahr, darüber zu sprechen. Das werden wir nicht leichtfertig tun, sondern wohlüberlegt.“
„Innerhalb weniger Tage stellten der Bund und ab kommender Woche auch die sächsische Staatsregierung umfangreiche und schnell abrufbare Liquiditäts- und Finanzhilfen bereit. Besonderes Augenmerk legen wir in Sachsen darauf, dass nicht nur die großen Firmen, sondern auch die in unserem Bundesland strukturprägenden kleinsten und kleinen Unternehmen und das Handwerk, Freiberuflerinnen und Freiberufler, Solo-Selbständige und Kreative über die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie hinwegkommen. Mit den Mitteln, die wir jetzt in die Stützung von Wirtschaft und damit die Sicherung von Existenzen und Kaufkraft investieren, legen wir den Grundstein für ein erfolgreiches Wirtschaften nach Corona. Wir müssen jetzt Existenzen sichern – und dafür Geld in die Hand nehmen.“
„Das sächsische Hilfsprogramm beinhaltet zinsfreie Hilfen für kleine und kleinste Unternehmen bis 50.000 und im Ausnahmefall bis 100.000 Euro; sie sollen 3 Jahre tilgungsfrei sein und eine Laufzeit von 8 Jahren haben. Es sind keine klassischen Kredite. Wir sind uns als Koalition darüber einig, dass dort, wo kein nachholendes Geschäft möglich sein wird, diese Hilfen sich in nicht rückzahlbare Zuschüsse umwandeln werden.“
„Für die Zeit nach der Krise werden wir über Anpassungen der Schuldenbremse sprechen müssen. Der Mechanismus der in Sachsens Verfassung verankerten Schuldenbremse ist im Moment nicht gut. Er wirkt prozyklisch und hat in der jetzigen Form eher einen Vorsorgeauftrag. Als die Schuldenbremse in die Verfassung geschrieben wurde, waren es andere Zeiten. Die Rücklage des Haushalts müsste im jetzigen Mechanismus stetig erhöht werden und das können wir mit Corona-Auswirkungen vermutlich nicht leisten. In ihrer jetzigen Form verstärkt sie eigentlich die finanzielle Krisensituation. Wir brauchen einen Mechanismus, der antizyklisch wirkt, also der Abwärtsbewegung entgegenwirkt“, erläutert die Abgeordnete, die auch haushalt- und finanzpolitische Sprecherin ihrer Fraktion ist.
„Auch im Bund ist die schwarze Null meiner Einschätzung nach nicht haltbar. Maßstab unseres Handelns wird sein, was für die wirtschaftliche Zukunft benötigt wird. Wir haben eine Niedrigzinsphase und ich sehe in einer möglicherweise notwendig werdenden Neuverschuldung derzeit ein geringes Risiko. In Zeiten von Rezession muss man antizyklisch investieren, um anzukurbeln. Unsere Landesprogramme müssen auch so aufgestellt werden. Je schneller die Wirtschaft wieder in Tritt kommt, umso schneller stabilisiert sich das Gesamtfinanzgefüge auch wieder“, betont Schubert.
Hintergrund:
1. Neuverschuldungsverbot im Bund (Artikel 109 Grundgesetz)
Der Bund kann trotz der Schuldenbremse in einer außergewöhnlichen Notsituation wie der Corona-Krise unbegrenzt neue Schulden aufnehmen. Artikel 109 Grundgesetz sieht drei Voraussetzungen für die Abweichung vom Neuverschuldungsverbot vor: Notsituation muss außergewöhnlich sein, ihr Eintritt muss sich der Kontrolle des Staates entziehen und sie muss die staatliche Finanzlage und den Haushalt erheblich beeinträchtigen.
Eine vertragliche Obergrenze der zusätzlichen Verschuldungsmöglichkeiten ist nicht festgelegt.
Zusätzlich hat der Bund auch für Nachtragshaushalte die Möglichkeit, die nach der Schuldenbremse zulässige Verschuldungsobergrenze um weitere drei Prozent der veranschlagten Steuereinnahmen zu überschreiten, wenn es unerwartete Entwicklungen auf der Einnahmen- oder Ausgabenseite gibt.
https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_109.html
2. Neuverschuldungsverbot in Sachsen (Artikel 95 der Sächsischen Verfassung)
Artikel 95 der Sächsischen Verfassung sieht als Voraussetzungen für die Abweichung vom Neuverschuldungsverbot vor:
1) Konjunktureller Einbruch – Steuereinnahmen mind. 3% unter Normallage (berechnet aus Steuereinnahmen der letzten 4 Jahre); Kreditaufnahme bis 99% der Normallage; was darüber hinaus geht, braucht Zweidrittel-Mehrheit des Landtags, Tilgung: Steuermehreinnahmen, max. 8 Jahre
ODER
2) Bei außergewöhnlichen Notsituationen/ Naturkatastrophen: Zweidrittel-Mehrheit des Landtags, Kreditaufnahme der Höhe nach gemäß Landtagsbeschluss, Tilgung: Tilgungsplan, max. 8 Jahre.
https://www.revosax.sachsen.de/vorschrift/3975-Verfassung#a95
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